0360 - Die Rache des Kopflosen
ihn zwar nicht tödlich getroffen, aber irgendwie angekratzt und aus der Kontrolle gebracht. Er flog zwar auf das Fenster zu, war dabei vom Kurs abgekommen und flatterte in einen der Vorhänge hinein. Es waren lange Stoffstreifen, die jedes Fenster einrahmten. Sie reichten von der Decke bis auf den Boden. Warfen zwischendurch lange Falten, und genau in ein Faltental war der Vogel hineingewischt.
Das war kein Beinbruch für ihn, aber er hatte momentan die Übersicht verloren, das kostete ihn Zeit und gab mir die Gelegenheit, näher an den Vogel heranzukommen.
Diese Chance ließ ich mir natürlich nicht entgehen. Mit großen Sätzen überwand ich die uns trennende Distanz und packte mit der linken Hand zu. Den Raben erwischte ich dabei, auch den Stoff, denn in ihm wickelte ich das Tier ein, das sich plötzlich heftig wehrte, mit dem Schnabel zuhacken wollte, wobei der Stoff auch kein Hindernis für ihn darstellte, denn seine Schnabelhiebe durchtrennten ihn.
Zum Glück erwischten sie nicht meine Hand. Ich konnte den Vogel auch nicht mehr länger halten und drückte die Berettamündung gegen seinen Körper.
Die Kugel jagte durch den Stoff und auch in den aufgeplusterten Höllenraben hinein.
Es war ein Zucken, das ihn durchrann. Ich riskierte es und ließ ihn los. Für einen Moment konnte er sich noch halten, vielleicht hatte er sich auch festgekrallt, dann fiel er zwischen den Vorhangspalten nach unten und klatschte dicht vor meinen Füßen auf, wo er liegenblieb und sich nicht mehr rührte.
Mit dem Fuß schob ich ihn so weit zur Seite, daß ich ihn auch sehen konnte.
Das geweihte Geschoß aus der Beretta hatte ihn voll erwischt und zerrissen. Es war durch den Körper geschlagen und steckte sicherlich jetzt irgendwo in der Wand. Der Rabe selbst mußte vom Teufel geleitet werden, denn ein normaler Vogel wäre nicht vor meinen Augen zu Asche verfallen.
Das war bei ihm der Fall.
Ich konnte zusehen, wie sein schwarzes Gefieder immer grauer und grauer wurde, einen hellen, schneeartigen Schimmer bekam, vom kalten Windzug erfaßt und weggeweht wurde, so daß die Knochen sichtbar wurden. Auch sie besaßen nicht die Härte eines normalen Tieres. Sie waren dünn, weich und konnten dem Druck meines Fußes nicht standhalten, als ich die Sohle auf die Reste preßte.
Der Vogel zerknirschte unter meinem Fuß. Als plattgetretener Staubrest blieb er liegen.
Und noch zwei Reste funkelten zwischen dem Grau der Asche.
Das waren seine beiden Augen. Zwei rote Lichter, die allmählich erloschen. Endlich war der Rabe besiegt.
Ich freute mich darüber, denn im Kampf gegen den kopflosen Reiter hätte er mir große Schwierigkeiten bereiten und mich von der eigentlichen Aufgabe ablenken können.
Vielleicht war es ein Fehler von mir, daß ich schon so weit in die Zukunft hineindachte. Viel näher lag der Junge. Das Fenster konnte ich nicht mehr reparieren. Ich wollte den Jungen nehmen und nach unten bringen, damit er nicht allein in seinem Zimmer und in der Kälte lag.
Einen Blick warf ich trotzdem nach draußen. Den Vorhang hatte ich zur Seite gedrückt, beugte mich aus dem Fenster und schaute nach unten. Meinen Wagen sah ich, auch den Wald, den wir durchfahren hatten. Dunkel und irgendwie tot wirkte er, obwohl auf den Zweigen und Ästen der Bäume der gefrorene Schnee wie eine Schicht lag.
Jegliches Leben war in der beißenden Kälte erstarrt.
Wirklich jegliches Leben?
Nein, ich hörte ein Geräusch.
Es wollte so gar nicht in die lastende Stille hineinpassen, obwohl man es eigentlich als typisch hätte bezeichnen können.
Es waren harte, tackende Laute. Geräusche wie von Pferdhufen.
Da gab es nur einen, der bei dieser mörderischen Kälte unterwegs war.
Der kopflose Reiter!
Jetzt zog ich mich nicht zurück, sondern blieb am Fenster stehen und schaute schräg in die Tiefe, denn der Reiter mußte irgendwann in meinem Blickfeld erscheinen.
Noch klangen die Laute gedämpft. Wahrscheinlich war der Unheimliche noch von den Bäumen gedeckt worden. Da er und sein Rabe in einer gewissen Verbindung miteinander standen, ging ich davon aus, daß er vom Tod des Tieres bereits wußte.
Deshalb war ich gespannt, wie er sich verhalten würde. Es war nicht stockfinster. Der Schnee lag wie eine dicke Schicht auf dem Untergrund. Er gab noch ein gewisses Licht ab, so daß ich außerhalb der Bäume einige helle Inseln entdeckte.
Und auch der Himmel zeigte keine dicke Schwärze. Als weites graues Tuch spannte er sich über den Baumwipfeln. Die
Weitere Kostenlose Bücher