0363 - Der Gnom mit den sieben Leben
Sinclair«, unterbrach mich Professor Prescott. »Sie brauchen auch nichts zu sagen. Sie alle nicht. Es ist am besten, wenn wir eine andere reden lassen.« Er ging zur Tür und sprach auf dem Weg dorthin erst weiter. »Ich bin nicht allein gekommen, sondern habe jemanden mitgebracht. Miß Collins!« rief er.
Die Mahagonitür wurde nach innen gedrückt. Ein Lichtstrahl fiel auf die gebogene Messingklinke und ließ sie für einen Moment aufblitzen. Im nächsten Augenblick schob sich jemand über die Schwelle.
Es war Jane Collins.
Und sie kam ohne den Würfel!
Wir waren einfach zu überrascht, um etwas sagen zu können. Wir standen da wie Zinnsoldaten, starrten sie an, und hatten das Gefühl, eine Fremde zu sehen, obwohl wir sie schon seit Jahren kannten.
Jane trug auch nicht mehr das OP-Hemd. Umgezogen hatte sie sich.
Eine gelbe lange Hose, die in Höhe der Oberschenkel pumpig ausgestellt war, verdeckte ihre Beine. Das gelbe Polohemd und die blauen Halbstiefel ebenfalls, und über ihre Schultern hatte sie eine Jacke aus ebenfalls blauem Leder gehängt.
Das blonde Haar war ausgekämmt. Die Spitzen berührten die Schultern. Ihr Mund hatte sich zu einem Lächeln verzogen, das ein wenig verlegen wirkte, da auch Jane Collins nicht wußte, wie sie sich in diesen Momenten verhalten sollte.
»Jane!« hauchte ich und schüttelte den Kopf. »Verdammt, du hast es geschafft.«
Bill Conolly stieß mich an. »Los, Alter, geh endlich zu ihr! Darauf hast du doch lange genug gewartet.«
»Das stimmt.«
»Dann mach schon, Mensch.«
Sie beobachteten mich. Auch der Professor. Er war einige Schritte zur Seite getreten. In seinen Augen lag ein gespannter Ausdruck.
Für mich war dieser Augenblick wie eine Neugeburt, und als ich mich in Bewegung setzte, kam ich mir vor wie ein Primaner beim Abitur, dem die Knie zitterten. So aufgeregt war ich.
Jane blieb stehen. Sie schaute mich nur an. Ich blickte in ihre Augen. Sie hatten den harten, brutalen und menschverachtenden Glanz verloren, die sie einmal besessen hatten, als Jane noch zu den Hexen gezählt hatte. Jetzt blickte sie mich an wie früher. Klar und ohne Hintergedanken. Wir gehörten wieder zusammen…
Dicht vor ihr blieb ich stehen. Eine Haarsträhne war in ihr Gesicht gefallen. Ich hob die Hand und wischte sie weg. Es war die erste Geste zwischen uns, die erste Berührung, und sie kam mir vor wie eine lange erwartete Premiere.
»Wie geht es dir?« fragte ich.
»Gut.«
»Und dein Herz?«
Sie lächelte. »Es schlägt, John. Willst du es fühlen?«
Als sie die Frage gestellt hatte, erschrak ich und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. »Nein, nein, bitte nicht. Ich… ich weiß nicht, ob du … ich meine, du mußt dich schonen.«
»Das glaube ich kaum, John. Ich habe viel durchgemacht. Verflixt viel, und die letzten Monate kommen mir vor wie ein Traum. Ein böser Alptraum…«
»Der nun beendet ist«, vollendete ich den Satz.
»Ja, es ist vorbei. Dank dir, John.«
Ich winkte ab. »Nein, Jane, du brauchst dich bei mir nicht zu bedanken. Ich habe am wenigsten dazu getan. Es waren andere, die dir viel mehr geholfen haben. Wenn du dich bei jemandem bedanken willst, dann tue es bei Professor Prescott. Er ist derjenige, der dir das Herz eingesetzt hat. Für ihn bist du sowieso ein medizinisches Rätsel.«
Jane blickte den Professor an. »Sie müssen umdenken, Sir. Manchmal ist die Magie stärker als die Wissenschaft. Auch ich habe das erst lernen müssen.«
»Das habe ich gemerkt, aber begreifen kann ich es nicht.«
»Wahrscheinlich wird Miß Collins die einzige Person bleiben, bei der sie ein solches Experiment überhaupt angewendet haben. Eine Wiederholung kann es nicht geben«, sagte Bill.
»Bei Ihnen bin ich mir da nicht so sicher«, lautete seine Antwort.
Ich legte meinen Arm um Janes Schultern. »Komm, du mußt dich noch ausruhen.«
»John, ich fühle mich gut.«
»Trotzdem.«
»Wenn du meinst.«
Ich ließ meinen Arm von ihrer Schulter rutschen, damit sie sich bei mir einhaken konnte. Ich spürte die Wärme ihres Körpers, und Wärme bedeutete Leben. Für mich lebte sie. Sie war kein totes Wesen mehr, keines, das sich auf Schwarze Magie verlassen mußte.
Jane war so wie früher, wie ich sie einmal gekannt und auch geliebt hatte.
Aber Liebe ist etwas, das man nicht so einfach wegwerfen und zurückholen kann. Was bedeutete Jane mir jetzt noch? Ich wußte es nicht, ich wollte auch nicht darüber nachdenken, weil dieses Thema einfach zu ernst war. In
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