0367 - Der Hexenbaum
überschlugen sich. Irgendwann ging ihr auf, daß sie bei ihrer Flucht Lärm verursachte, den man hören konnte. Die Dunkelheit schützte sie nicht, wenn die Verfolgerin zeitweise stehenblieb und lauschte. Also blieb auch Su Ling stehen.
Sie lauschte ihrerseits in die Nacht.
In der Ferne hörte sie die Feindin, die suchte und langsam, aber sicher näher kam. Ling verbarg sich zwischen Sträuchern. Sie zwang sich, ruhig liegenzubleiben. Wenn sie aufsprang und weiterlief, verriet sie sich.
Sie mußte es darauf ankommen lassen, daß die Fremde sie trotzdem fand.
Und in der Tat kam sie immer näher heran. Sie suchte.
Su Ling bemühte sich, so flach wie möglich zu atmen. Nur kein Geräusch hervorrufen! Sie wußte nicht, wie stark die andere war, aber der blitzschnelle Schlag, mit dem sie Ling im Hotel außer Gefecht gesetzt hatte, gab der Chinesin zu denken. Wieder einmal wünschte sie sich, daß Wang in der Nähe war.
Direkt neben den Sträuchern, zwischen denen Ling sich verbarg, blieb die Fremde stehen. Sie brauchte sich jetzt nur umzudrehen und mußte Ling erkennen! Der gelbe Hosenanzug, den sie trug, war in der Dunkelheit äußerst auffällig.
Langsam drehte sich die Fremde.
Da schnellte sich Su Ling hoch. Sie legte alle Kraft in den Schlag, weil sie wußte, daß sie es nicht auf einen Kampf ankommen lassen durfte. Da war ihr die Entführerin überlegen.
Su traf.
Sie sah, wie die Fremde zu ihren Füßen zusammenbrach. Vorsichtshalber prüfte die Chinesin nach, ob die Fremde tatsächlich bewußtlos war. Dann richtete sie sich wieder auf.
Was nun? Zurück zum Wagen und damit verschwinden?
Das ginge am schnellsten, aber plötzlich erschien ihr dieses Vorgehen als zu riskant. Daß Su Ling nach dem Anhalten noch im Wagen sitzengeblieben war, besagte nichts. Es konnten dennoch noch andere dort oben lauern und über Ling herfallen, sobald sie wieder erschien. Es war besser, die Flucht zu Fuß fortzusetzen. Zudem hatte sie durch die Bewußtlosigkeit ihrer Feindin einen kaum wieder einzuholenden Vorsprung gewonnen. Über magische Kräfte schien die Kidnapperin nicht zu verfügen, denn sonst hätte sie sie schon vorher eingesetzt und Su Ling mit untrüglicher Sicherheit gefunden. Die Chinesin wußte nur zu gut, was sie von Magie zu halten hatte. Sie hatte sie in Peking und in Ghet-Scheng und auch auf dem Weg dorthin nur zu gut am eigenen Leib erlebt. Sie hielt, was die Dinge anging, alles für möglich.
Aber sie wünschte sich, sie wäre niemals damit in Kontakt gekommen.
Ob diese Jagd auf sie etwas mit Wang zu tun hatte? Hatte er Feinde in der Hölle, die ihm zu schaden versuchten, indem sie sich an Su vergriffen?
Sie wußte es nicht.
Sie rannte einfach weiter in die Dunkelheit, bergab. Im Tal befand sich eine Straße, das war sicher. Und auch wenn es Nacht war - es würde Autofahrer geben. Wenige zwar, aber immerhin. Notfalls würde sie versuchen einen Truck anzuhalten.
Plötzlich sah sie die Scheinwerfer eines Autos, das sich bergauf bewegte.
Nicht auf der Straße!
Das konnte nur eines bedeuten: dieses Auto gehörte zu jenen, die Su Ling töten wollten! Sie duckte sich unwillkürlich.
Aber sie hielt es nur ein paar Sekunden aus, dann richtete sie sich wieder auf. Es war doch alles gar nicht so schlimm. Sicher konnte sie mit den Leuten reden und sie davon überzeugen, daß es ihnen doch gar nichts nützte, wenn sie Su Ling töteten. Sie hatten keinen Vorteil davon, und Wang Lee würde sie rächen. Ja, das mußte sie ihnen sagen, dann würden sie sie in ihre Wohnung zurückbringen und in Ruhe lassen.
Langsam ging sie auf den Wagen zu.
Nein, sie brauchte nicht einmal etwas zu sagen. Es war doch alles in Ordnung. Da im Auto wartete eine Freundin.
Freudestrahlend lief Su Ling dem Wagen entgegen…
***
Nicole murmelte eine Verwünschung. Sie saß fest! So, wie sie nur scheinbar in die endlose Tiefe stürzte, bewegte sie sich auch nur scheinbar. Sie machte zwar die Gehbewegungen, aber da sie keinen Bodenkontakt mehr hatte, sondern frei schwebte, kam sie auch nicht voran!
Die Falle war also doch nicht ganz so einfach konstruiert, wie sie anfangs angeommen hatte…
Aber irgendwie mußte sie es schaffen, da herauszukommen. Wenn sie keinen Bodenkontakt hatte, mußte sie ihn sich verschaffen!
Sich wie ein Astronaut im Weltraum bewegen, mit den Armen rudern und versuchen, dadurch eine Vorwärtsbewegung zu erreichen?
Zu unwahrscheinlich, daß es klappte. Es mußte eine andere Möglichkeit geben.
Mit dem
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