0367 - Der Hexenbaum
werden, wirst du solche Fehler nicht mehr machen dürfen. Dein erster Fehler ist auch dein letzter. Du hättêst deine Aktion viel sorgfältiger vorbereiten müssen. Lerne, deine Ungeduld und Unbeherrschtheit zu zügeln. Nur mit Geduld kommst du ans Ziel. Und wenn nicht heute, dann in hundert Jahren.«
»In hundert Jahren?« murmelte Sonia skeptisch.
Sybil lachte leise. »Schätze mein Alter«, sagte sie.
Sonia wurde aufmerksam. »Um achtzehn herum«, sagte sie.
»Weil ich so jung aussehe? Rechne etwa 120 Jahre hinzu, dann stimmt es. Ganz genau weiß ich es auch nicht, weil meine Geburtsurkunde nie ausgestellt wurde. Ich kann mich nur an das halten, was man mir sagte. Aber zwischen 135 und 140 werde ich sein.«
Sie lachte erneut und weidete sich an Sonias Erstaunen. »Im Kofferraum liegen einige Dinge«, sagte sie. »Nimm sie heraus und folge uns.«
Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich ab und schritt auf eine vorspringende Felswand zu. Sie machte eine schnelle Handbewegung und flüsterte etwas, das wie »Shawatar« klang.
Der Fels sprang auf und bildete ein Tor, das vorher nicht dagewesen war!
Sybil schritt in die Felsenhöhle hinein. Die hypnotisierte Chinesin folgte ihr. Sonia hatte eine Reisetasche aus dem Kofferraum des Hexenwagens genommen und folgte Sybil mit gemischten Gefühlen. »Sybil…?«
»Ja?«
»Wie hast du die Chinesin einfangen können? Sie… sie hat mich niedergeschlagen.«
»Ich bin eine Hexe. Verzichte auf Dank - es ist das letzte, was ich für dich getan habe. Von nun an bist du auf dich allein gestellt. Nutze deine Chance.«
»Ja«, sagte Sonia.
Sie sah sich um.
Sie sah die dunklen Silhouetten der anderen Hexen, die Sybil, der Gefangenen und ihr in die Tiefe des Berges folgten…
***
»Sie müssen doch wissen, wo Sie hinwollen, Lady!« sagte der Taxifahrer mißmutig. »Ich habe wenig Lust, eine Irrfahrt durch ganz Frisco und Umgebung zu machen! Haben Sie überhaupt Geld?«
Nicole legte ihm einen großen Schein auf die Konsole. »Würden Sie also bitte fahren. Ich kann Ihnen die Anweisungen wirklich nur von Fall zu Fall geben! Und - fahren Sie so langsam, daß Sie notfalls auf drei, vier Metern per Vollbremsung stehen können!«
»Können Sie mir nicht sagen, was Sie sich davon versprechen?«
Nicole schüttelte den Kopf. »Sie würden mich für verrückt halten«, sagte sie.
Sein Gesichtsausdruck verriet, daß er das ohnehin tat.
Aber der große Geldschein war ein überzeugendes Argument. Er ließ das Taxi langsam anrollen. Nicole sah nach wie vor den Schatten der Hexe. Der bewegte sich jetzt in sitzender Position; das Auto, das die Hexe benutzte, war nicht zu erfassen.
Immer wieder sah Nicole auf die Uhr. Sie hatte ein ungutes Gefühl. Was war mit Su Ling? Schlief sie wirklich in ihrem Hotelzimmer und meldete sich deshalb nicht? Oder war ihr vielleicht etwas zugestoßen? Aber nein. Die magischen Sperren waren absolut sicher. Kein Schwarzblütiger konnte sie durchdringen.
Daß es kein schwarzblütiges Wesen war und daß Su Ling die Tür auch selbst geöffnet und damit die Absperrung durchlässig gemacht hatte, konnte Nicole nicht ahnen…
Trotzdem hatte die Französin das Gefühl, daß die Zeit drängte. Sie wußte nicht, weshalb Sybil Ranix ihre Wohnung in der Nacht verlassen hatte. Aber bestimmt nicht, um irgendwo in den Bergen einen Mondscheinspaziergang zu machen…
Sie plante etwas. Aber was?
Am liebsten hätte Nicole den Taxifahrer aufgefordert, so schnell wie nur eben möglich zu fahren. Aber sie fürchtete, eventuell die Spur zu verlieren, wenn die Hexe irgendwo überraschend abgebogen war und das Taxi nicht rechtzeitig bremsen konnte, um der Spur zu folgen. Nicole wußte, daß sie sich nicht wieder würde »einfädeln« können.
Deshalb war es sicherer, langsam zu fahren und die Spur festzuhalten, diesen verwaschenen Schemen.
Sie ahnte nicht, wie sehr die Zeit tatsächlich drängte…
***
Sonia hatte auf Geheiß Sybils die Tasche einer der anderen Hexen übergeben, und diese waren hinter einer Holztür verschwunden. Sie hatten auch Su Ling mit sich genommen.
»Was tun sie dort?« fragte Sonia.
»Sie bereiten das Ritual vor. Die Beschwörung, mit der wir Satan anrufen werden, damit er prüft, ob du würdig bist. Dann wird sich dein Schicksal entscheiden.«
Sonia schluckte. »Ich bin sicher, daß er für mich entscheidet«, sagte sie heiser.
»Er wird wissen, ob du ihm wirklich dienen willst«, sagte Sybil. Sie streifte ihre Kleidung ab und begann,
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