0369 - Das Grauen aus dem Bleisarg
gebracht und bin gegangen.«
»Wohin?«
»Auf den Friedhof. Das ist meine Welt, hier halte ich Wache. Man hat mich vor langen Jahren begraben, aber ich war nicht tot, habe nur geschlafen und den Ruf der Lady Dorothy empfangen, um wieder aufzuwachen. Ich habe gelernt, mich unter den Menschen zu bewegen. Immer nur im Winter oder nachts, denn die Sonne schwächt mich. Außerdem brauche ich Blut.«
»Und ich Informationen«, erklärte ich kalt. »Ich will endlich wissen, was mit dieser Thelma geschehen ist. Du hast sie in das Totenhaus geschafft. Was ist dann geschehen?«
»Ich bin wieder gegangen und ließ sie allein. Lady Dorothy wollte sich mit ihr unterhalten.«
»Sie kam zurück und war wahnsinnig. Thelma muss es erwischt haben«, erklärte ich.
»Sie hat nur das getan, was Lady Dorothy von ihr wollte. Die Rose blüht noch. So lange es sie gibt, wird auch Leben in meiner Herrin sein!« behauptete der Blutsauger.
Das nahm ich ihm ab. Bisher hatten wir von seiner Herrin nur geredet, das musste sich ändern. Ich wollte sie sehen und nach Möglichkeit auch vernichten.
»Gut«, fasste ich zusammen. »Du weißt also Bescheid, hast dich mit einem modernen Leben abgefunden, und ich will es auf eine Probe stellen. Es ist dir gelungen, Lady Thelma indas Totenhaus zu bringen. Was du mit ihr getan hast, kannst du auch mit mir machen. Bring mich hin zu deiner Lady Dorothy.«
Der Vampir starrte mich an, als hätte ich etwas Ungeheures von ihm verlangt. »Das kann ich nicht!« flüsterte er.
»Aber ich kann dich mit dem Kreuz berühren.«
Ich merkte, dass seine Angst stärker wurde. »Wie soll ich das denn schaffen? Ich bin zu schwach. Viel zu schwach auf den Beinen. So etwas geht nicht, tut mir Leid…«
Ich ging noch näher auf ihn zu. Und damit schockte ich ihn, weil er dachte, ich würde ihm tatsächlich mein Kreuz ins Gesicht drücken. Deshalb ließ er den Grabstein los und wälzte sich auf dem Boden, um sein Gesicht in den feuchten Untergrund zu drücken. Er wollte mein Kreuz nicht sehen. Musste es auf jeden Fall vermeiden.
»Wenn du es nicht freiwillig tust, muss ich dich eben dazu zwingen«, sagte ich und bückte mich. Neben ihm lag das schmale Würgeband wie eine dünne Schlange, und das hatte mich auf die Idee gebracht. An seinem Handgelenk war es festgeknotet.
Schmerzen verspürte ein Vampir nicht, es sei denn, man attackierte ihn mit geweihten Waffen.
Bevor er sich noch versah, hatte ich das Band bereits gepackt und hochgezogen. Sein Arm machte die Bewegung mit. Er stand plötzlich schräg und bildete praktisch die Verlängerung des Bandes.
Erst jetzt spürte der Vampir, dass etwas mit ihm geschah. Als er schreiend protestierte, hatte ich bereits die ersten Schritte hinter mich gebracht und ihn mitgeschleift.
So zog ich ihn auch über den Boden. Jetzt war ich der Cowboy und er das Opfer.
Ich hörte ihn fluchen. »Verdammt, wo schaffst du mich hin? Was soll ich…?«
»In das Totenhaus.«
»Du weißt doch nicht, wo es ist.«
Ich lachte auf. »Das wirst du mir schon sagen, wenn es dir erst richtig schlecht geht.«
Er begann zu jammern, doch ich hörte nicht auf ihn. Den Vampir hinter mir herschleifend, schritt ich über den mit grauen Nebelschleiern bedeckten Totenacker.
Natürlich hätte er die Schlinge auch von seinem Gelenk lösen können, das hätte nur nichts gebracht. Er konnte mir nicht mehr entkommen, und das wusste er auch.
Ich drehte mich zu ihm um.
Auf der Seite lag er. Den Kopf hatte er ebenfalls gedreht. Sein Gesicht war nicht nur alt und grau, sondern auch schmutzig geworden. Die Zunge hing aus seinem Mund hervor wie ein alter Lappen, und in seinen Augen lag ein stumpfer Glanz.
»Du kannst es dir aussuchen«, erklärte ich. »Verhältst du dich kooperativ, ist alles klar, dann dauert es nicht lange, bis wir unser Ziel erreicht haben. Stellst du dich aber gegen mich, hast du zu leiden! Du hast die Wahl.«
»Was willst du denn!«
»Zu ihr!«
»Aber du wirst vernichtet.«
Ich lachte spöttisch. »Kann mir kaum vorstellen, dass du so besorgt um mich bist. Keine Sorge, ich bin auf alte Ladys spezialisiert. Besonders dann, wenn sie schon lange tot sind und trotzdem noch leben wollen. Du hast es in der Hand…«
»Ich führe dich.«
»Das ist nett. Steh auf.« Ich lockerte die Leine und schaute zu, wie er sich hochstemmte. Das Kreuz hielt ich nicht mehr fest, dafür die Beretta, und er schaute in die Mündung.
Als um seine Lippen ein Lächeln zuckte, wusste ich, was er dachte.
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