037 - Die seltsame Gräfin
Welt!«
Sie schaute durch die offene Tür. Lois hörte von dort dauernd Schritte, als ob jemand auf und ab ginge.
»Wer ist in dem anderen Zimmer?« fragte sie, aber sie erwartete keine befriedigende Antwort.
»Eine Frau - die ist auch verrückt.«
»Habe ich sie nicht neulich abends gesehen?« fragte das Mädchen und bemühte sich, so gleichgültig wie möglich zu sein. »Haben Sie nicht mit ihr im Hof - gesprochen?«
Die Frau musterte sie von oben bis unten.
»Sie haben gesehen, wie ich sie mit der Peitsche beruhigte - manchmal wird sie nämlich ein wenig frech, aber daran bin ich schon gewöhnt. Die meisten sind so. Bei Ihnen kommt das auch noch.«
Lois schauderte vor dieser furchtbaren Prophezeiung.
»Da ist doch nichts dabei - ein paar Schläge - Mondsüchtige sind eben keine Menschen mehr, sie sind wie Tiere, sagt der Doktor. Und man muß sie eben auch wie Tiere behandeln. Das ist die einzige Methode, die sie verstehen.«
Lois versuchte ihren Schrecken und ihren Abscheu zu verbergen, aber es gelang ihr nicht ganz.
»Ich hoffe, Sie werden mich nicht wie ein Tier behandeln«, sagte sie.
Mrs. Rooks rümpfte die Nase.
»Wenn Sie sich ordentlich betragen, werden Sie auch gut behandelt. Alle verrückten Leute haben eine gute Zeit bei uns, wenn sie nicht frech und aufsässig sind. So hält es der Doktor immer.«
Es war Lois klar, daß diese brutale Frau ohne zu fragen jede Diagnose annahm, die der Doktor stellte. Für Mrs. Rooks war sie eben verrückt, genau wie die andere unglückliche Frau. Und wenn sie widerspenstig wurde, sollte sie in derselben Weise behandelt werden.
»Warum haben Sie sie denn eine Zuchthäuslerin genannt?«
Wieder traf sie ein argwöhnischer Blick.
»Ich habe eine Menge Schimpfnamen für sie«, sagte Mrs. Rooks kühl. »Wenn Sie nicht spioniert hätten, wüßten Sie nichts davon. Aber Schimpfnamen verletzen niemanden, sie sind immer noch viel besser als die Peitsche. Kennen Sie den Mann, der gestern abend kam?«
»Mr. Dorn?«
»Ja - wer ist das?«
»Ein Polizeibeamter.«
Lois hatte nicht erwartet, daß diese Worte solchen Eindruck auf die Frau machen würden. Das Gesicht der Haushälterin wurde plötzlich blaß.
»Ein Detektiv?«
Lois nickte, aber Mrs. Rooks' Gesicht hellte sich wieder auf.
»Das ist ein Teil Ihrer verrückten Ideen«, sagte sie ruhig. »Er ist ein Mann, dem der Doktor Geld schuldet, ich weiß es, weil er es mir selbst erzählt hat. Der Doktor ist in Geldnot, aber deswegen hat er noch lange keine Unannehmlichkeiten mit der Polizei. Man hat viele Lügen über ihn in Indien verbreitet, aber er ist ein guter Mensch, der beste Mann, den es auf der Welt gibt.«
Plötzlich kam Lois ein Gedanke.
»An welchem Irrwahn leide ich denn?« fragte sie.
Mrs. Rooks sah das Mädchen mit einem schlauen Blick an.
»Ich bin erstaunt, daß Sie das fragen. Sie haben wirklich die verrückte Idee, zu glauben, daß Sie jemand anders sind als in Wirklichkeit!«
Lois runzelte die Stirn.
»Wollen Sie damit sagen, daß ich unter dem Eindruck stehe, eine hohe Persönlichkeit zu sein?«
Mrs. Rooks nickte.
»Ja - Sie denken, daß Sie die Gräfin von Moron sind!«
31
Lois wollte ihren Ohren nicht trauen.
»Ich bilde mir ein, daß ich die Gräfin von Moron bin?« fragte sie verwirrt. »Das ist doch ganz unmöglich - ich bilde mir wirklich nichts Derartiges ein!«
»Doch, das tun Sie - der Doktor sagt, Sie glauben, daß Sie die Gräfin sind. Sie versuchten, Lady Moron umzubringen, weil Sie ihren Titel haben wollten!«
Diese Unterstellung war so absurd, daß Lois lachen mußte.
»Aber das ist doch vollkommener Unsinn! Ein solcher Gedanke ist mir niemals gekommen! Lady Moron! Ich bin doch eine Stenotypistin. Wer hat Ihnen denn das gesagt?«
»Der Doktor - er sagt immer die Wahrheit. Nur die Leute belügt er, denen er Geld schuldig ist. Und das ist doch sehr natürlich!«
Die alte Frau erhob sich und ging aus dem Zimmer. Sie blieb eine halbe Stunde fort und versorgte anscheinend in dieser Zeit die andere Gefangene, denn als sie zurückkam, brummte sie etwas von unzufriedenem Volk.
»Sie hat alles, was sie braucht - zu essen und zu trinken -, und doch ist sie unzufrieden, das zeigt, daß sie verrückt ist. Ich habe noch nie eine verrückte Frau gesehen, die zufrieden war.«
Lois dachte, daß sich diese Schwäche nicht nur auf verrückte Leute beschränkte.
»Wann gehen wir wieder von hier fort?«
»Ich weiß es nicht - wahrscheinlich heute abend. Der Doktor wird dann
Weitere Kostenlose Bücher