037 - Quellen der Lust + Die Mätresse des Prinzen
„Sie waren nie verliebt?“
„Nein. Sie?“
Ihre Miene wurde kühl. „Das fragen Sie eine Frau, die verheiratet war?“
„Ich wollte Sie nicht beleidigen. Aber Sie können nicht leugnen, dass nicht alle Ehen auf Liebe beruhen.“
„Nein, das wohl nicht.“
„Wie hieß Ihr Mann?“
Sie zögerte, dann sagte sie leise: „Richard.“
Ihre Antwort lautete genauso, wie er es vermutet hatte. Richard war Lord Ridgemoors Vorname. Simon begann zu glauben, dass es nie einen Mr. Ralston gegeben hatte. Nur ihren Geliebten, Richard, für den sie offenbar tief empfunden hatte. Und der sie, wie ihr Verhalten es andeutete, verstoßen hatte. Ahnte sie überhaupt, dass ihr früherer Liebhaber tot war? Gewiss wüsste sie das, wenn sie irgendetwas mit seinem Tod zu tun hatte.
„Sie haben ihn sehr geliebt.“ Das war keine Frage.
Sie wandte den Blick von ihm ab und betrachtete ihre Hände im Schoß, doch er hatte schon die Tränen in ihren Augen gesehen. Tränen des Kummers, weil sie den Mann verloren hatte, den sie liebte, oder Tränen aus Schuldbewusstsein, weil sie an seinem Tod beteiligt war?
„Ja“, flüsterte sie. „Ich habe ihn geliebt.“
Die Ernsthaftigkeit, mit der sie das sagte, ihr Tonfall, all das berührte Simon unerwartet in einer Weise, die er nicht ganz verstand. Er streckte den Arm aus und legte behutsam eine Hand auf ihre, die sie fest gefaltet hatte. „Es tut mir leid.“
Einen Moment lang saß sie vollkommen reglos da. Dann schien ein Schauer ihren ganzen Körper zu überlaufen. Sie entzog sich ihm und stand auf. „Ich muss gehen“, sagte sie mit heiserer Stimme.
Simon erhob sich. „Geht es Ihnen gut?“, fragte er. Eine lächerliche Frage. Es war offensichtlich, dass etwas nicht stimmte, aber er wusste nicht, was er sonst sagen sollte.
„Es geht mir gut. Ich habe mich nur an eine frühere Verabredung erinnert, eine, für die ich bereits spät dran bin. Vielen Dank für den Ausflug. Guten Tag, Mr. Cooper.“
Damit machte sie kehrt und ging rasch von ihm weg.
Simons erster Impuls war, ihr nachzugehen, aber er zwang sich dazu, das nicht zu tun. Stattdessen sah er ihr nach, bis sie in der Menge verschwand.
Nicht einen Augenblick lang glaubte er an diese andere Verabredung. Was also hatte sie dazu veranlasst, die Flucht zu ergreifen? Trauer? Schuldbewusstsein? Oder war es seine Berührung gewesen, die sie vertrieben hatte?
Simon stieß einen Seufzer aus und setzte sich wieder, um darauf zu warten, dass Benjamin mit Beauty zurückkam. Genevieve Ralston weckte in ihm viel zu viele Fragen – Fragen, die nicht leicht zu beantworten sein würden. Um alles noch schlimmer zu machen, war die Dame nicht ehrlich zu ihm. Allerdings konnte er ihr wohl keinen Vorwurf daraus machen, dass sie ihm nicht gestand, zehn Jahre als Geliebte eines Aristokraten verbracht zu haben. Oder dass sie das skandalöseste Buch dieses Jahrzehnts geschrieben hatte.
Und da er selbst im Glashaus saß, konnte er nicht mit Steinen werfen. Ganz gewiss war er nicht ehrlich zu ihr gewesen, was die Gründe betraf, die ihn nach Little Longstone geführt hatten, oder wer er war. In Anbetracht der Verdächtigungen, die er ihr gegenüber hegte, und der vielen Lügen, die er während der letzten Jahre erzählen musste, hätte ihm das nichts ausmachen dürfen. Und doch war es so.
Er seufzte tief. Er musste sein Gewissen missachten und sich darauf konzentrieren, den verdammten Brief zu finden, diesen dann nach London bringen, ihn Waverly übergeben, damit sie gemeinsam Simons Namen reinwaschen konnten.
Dennoch – wie würde es sein, jemand die schlichte Wahrheit zu sagen? Er lachte freudlos. Es war so lange her, dass er das getan hatte, er konnte sich nicht mehr an das Gefühl erinnern. Aber er stellte es sich – befreiend vor.
Natürlich konnte und durfte er nichts tun, was seine Mission gefährdete. Dennoch fragte er sich, wie sie wohl reagieren würde, wenn er ehrlich zu ihr war. Was, wenn er ihr sagte, dass er ein Spion der Krone war? Dass sein richtiger Name Cooperstone war? Und dass er kein Verwalter war, sondern ein Viscount? Die Enthüllung, dass er ein Spion war, würde sie zweifellos schockieren, so wie seine Bekannten, seine Freunde und seine Familie. Nur wenige Menschen wussten von seinem geheimen Leben. Und was seinen Titel anging – würde er in ihren Augen dieselbe Gier aufflackern sehen wie in denen so vieler anderer Frauen? Dieser prüfende Blick, wenn sie abzuschätzen versuchten, wie viel sie von ihm bekommen
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