0372 - Monster in Marrakesch
hinüber zum Gericht. Dort vergaß er auch nicht darauf hinzuweisen, daß Nicole Duval Kaution angeboten hatte.
Nach fast einer Stunde war er wieder in der Präfektur und warf al Shadra den Schnellhefter auf den Schreibtisch, dazu die Dokumente, die das richterliche Siegel trugen.
Der des Mordes verdächtige Zamorra blieb weiter in Haft. Nicole Duval wurde gegen eine Kaution von fünfzigtausend Dirham aus der Untersuchungshaft entlassen, durfte allerdings Marrakesch nicht verlassen und hatte sich alle zwölf Stunden persönlich bei der Polizei zu melden. Ein Pflichtverteidiger war nach einigen Telefonaten inzwischen auch bestellt worden und sollte kurz vor Mittag mit seinem Mandanten bekannt gemacht werden.
»Noch einmal mischen Sie sich nicht in meinem Fall ein, Husein«, sagte al Shadra schroff.
»In gewisser Hinsicht ist es ja auch mein Fall, nicht wahr?«
Grußlos ging Husein, nur dachte er noch nicht daran, Feierabend zu machen. Al Shadras eigenartiges Verhalten gab ihm zu denken. Mit dem Kommissar stimmte etwas nicht. In dieser Form war er noch nie mit Gefangenen umgesprungen. Im Gegenteil, er war doch einer der Polizeibeamten, die stets für eine Modernisierung und Liberalisierung des Rechtes eintraten.
Wenn er einen stichhaltigen Grund für sein Verhalten besaß, hätte er diesen doch ruhig benennen können!
Husein, der vor ein paar Stunden noch von geruhsamem Feierabend geträumt hatte, fühlte sich jetzt gar nicht mehr müde. Er wollte noch ein wenig am Ball bleiben.
***
Mit Zamorra zu sprechen, war Nicole auch jetzt nicht erlaubt worden. Sie fragte sich, was das für einen Grund haben sollte, aber sie spürte deutlich die Feindseligkeit, die von Kommissar al Shadra ausging. Ein wenig wunderte sie sich darüber. Was hatte der Mann gegen sie?
Sie hoffte darauf, daß sie in ein paar Stunden zusammen mit dem Pflichtverteidiger zu Zamorra konnte.
Nach dem Verlassen der Präfektur versuchte sie von einem öffentlichen Fernsprecher aus, das Konsulat in Rabat zu erreichen. Aber wiederum kam keine Verbindung zustande. Nicole seufzte. Wer auch immer hinter der Sache steckte, er hatte sehr sorgfältig geplant und ließ nichts aus. Zamorra und Nicole sollten auf jeden Fall abgeschnitten bleiben. Man wollte sie hier fertigmachen, in einem fremden Land mit einer fremden Rechtsprechung. Aber wer konnte daran interessiert sein? Wer lenkte den schwarzen Ford mit dem gefälschten Kennzeichen? Wer war Nicoles Doppelgängerin? Und wer war Zamorras mutmaßlicher Doppelgänger, der Doktor Suleiman ermordert hatte?
Menschenleben bedeuteten dem Drahtzieher im Hintergrund jedenfalls nichts. Möglicherweise war auch Abdallah, der junge Taxifahrer, in Gefahr. Wahrscheinlich lag er jetzt nach der Nachtschicht ahnungslos daheim im Bett und schlief, während sich der Tod bereits an ihn heranschlich…
Er mußte gewarnt werden!
Nicole versuchte über die Taxizentrale herauszufinden, wer Abdallah war und wo er wohnte. Aber man ließ sie kalt auflaufen. Über die Fahrer würden keinerlei Auskünfte erteilt, und es würden auch keine Nachrichten an sie weitergegeben, teilte man ihr lapidar mit, ehe aufgelegt wurde.
Sie mußte es anders versuchen.
Abdallah wohnte mit Sicherheit irgendwo in der Stadt. Und wenn Marrakesch auch groß war - er hatte eine Spur in Zeit und Raum hinterlassen. Nicole ließ sich zum Hotel bringen und suchte die Stelle auf, an der sie sich von Abdallah verabschiedet hatte. Mit dem Amulett nahm sie seine Spur auf und sah das Bild des Fahrzeuges. Sie schaffte es, das Kennzeichen des Wagens zu erkennen.
Von der Rezeption des Hotels aus, wo man sie ob ihrer Freilassung verwundert ansah, ließ sie sich einen Mietwagen kommen, einen kleinen, wendigen Renault -, der im Stadtverkehr durch jede Lücke gelangen würde. Mit dem Mietwagen fuhr sie der Spur nach, die das Taxi hinterlassen hatte. Die unsichtbare Spur, die nur das Amulett aufnehmen und wiedergeben konnte. Es war schwierig, das Taxi nicht zu verlieren, zumal der Verkehr in den Straßen Marrakeschs längst lebhaft geworden war. Nicole wußte, daß es eigentlich leichtsinnig war, was sie tat, aber sie wollte nicht noch einmal jemanden in diese Auseinandersetzung mit dem Unfaßbaren hineinziehen. So riskierte sie es, zum totalen Verkehrshindernis zu werden, von jedem angehupt und von Radfahrern und Fußgängern überholt zu werden. Es war nicht einfach, gleichzeitig das Amulett unter Kontrolle zu behalten und zugleich den Wagen zu lenken.
Schließlich
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