0373 - Das Schiff der Bestien
Russe plötzlich aufstand, zuckte auch die Bestie zusammen. Sie ging einen Schritt vor. Es sah so aus, als wollte sie sich auf den Mann stürzen, der ihr ziemlich gelassen entgegenschaute, zum eingebauten Schrank ging und ein neues Glas hervorholte, das er mit einem kräftigen Schuß Wodka füllte.
Zum Trinken kam er vorerst nicht. Gerade als er es an die Lippen setzen wollte, stoppte der Zug. Da der Russe stand und überrascht wurde, verlor er auch das Gleichgewicht, taumelte vor, fiel gegen seinen Sessel, ließ das Glas aber nicht los, dafür schoß der Wodka fontänenartig aus der runden Öffnung.
Der Mann aus Rußland fluchte, bevor er sich hinsetzte.
Ich hatte mich halten können, auch der Werwolf, und wir alle warteten gespannt, wie es weitergehen würde.
»Ist die Reise schon wieder beendet?« fragte der englische Botschafter und schüttelte den Kopf. »Allmählich sollten sich unsere Freunde etwas anderes einfallen lassen.«
Nun, das lag an ihnen, und sie ließen sich auch etwas einfallen. Jedenfalls startete der Zug wieder.
Diesmal in die entgegengesetzte Richtung.
Der Engländer nickte. »Wir scheinen uns allmählich dem richtigen Ziel zu nähern.« Er blickte mich dabei an. »Und wo könnte das liegen, Oberinspektor?«
»Lassen Sie mich überlegen.«
»Bitte.«
Meine Gedanken glitten zurück in die nahe Vergangenheit. Ich dachte an unsere Herfahrt, rekonstruierte im Geiste noch einmal alles, sah praktisch das Gelände des Bahnhofs vor mir und kam zu dem einzig möglichen Schluß.
So wie wir jetzt fuhren, mußten wir genau auf die Themse zurollen. Etwas anderes war nicht möglich.
»Das Ziel ist die Themse«, sagte ich.
»Meinen Sie wirklich?«
»Ja. Ich habe mir alles vorgestellt und rekonstruiert. Schließlich bin auch ich hergefahren.«
»Aber nicht mit dem Zug.«
»Nein, Sir, mit meinem Wagen.«
»Über die Schienen?« spottete er.
»Das wohl kaum. Es gibt eine Straße, die praktisch parallel zu den Gleisanlagen führt. Auf der bin ich gefahren.«
»Gut.«
Der Russe blieb stumm. Er schaute den Werwolf an. Manchmal schüttelte er den Kopf, als könnte er alles, was er hier erlebte, noch nicht fassen und verarbeiten.
Ich aber dachte an Suko. Mein Freund hatte sich klammheimlich verdrückt. Ich kannte ihn lange und gut genug, um zu wissen, daß er nicht geflohen war. Wahrscheinlich hielt er sich in der Nähe auf.
Zu Fuß konnte er einen fahrenden Zug schlecht verfolgen, auf dem Trittbrett ebenfalls nicht mitfahren, und es blieb eigentlich nur eine Möglichkeit.
Das Wagendach!
Unser Bewacher wurde unruhig. Er blieb nicht mehr so still stehen und wechselte hin und wieder seinen Standort. Dabei trat er von einem Bein auf das andere, öffnete auch sein Maul, zeigte die Zähne, sprühte sogar Geifer und drehte sich schließlich der Abteiltür zu. Genau in dem Augenblick, als wir stoppten.
Ich hatte sogar den leichten Ruck festgestellt, der sich von der Lok aus durch die beiden Wagen fortpflanzte. Deshalb rechnete ich damit, daß wir wieder vor einem Prellbock standen.
Irgendwo im Zug knackte und knisterte es noch. Etwas bewegte sich immer. Dann wurde es ruhig.
Es war die Stille vor dem Sturm. Auch ich spannte mich innerlich und sah, daß sich auch der englische Botschafter steif hingesetzt hatte. »Jetzt bin ich mal gespannt!« flüsterte er.
Das war ich nicht minder. Vor der Abteiltür vernahm ich Geräusche. Es waren Schritte, die nicht von einem Menschen stammten, da sich diese anders anhörten.
Noch in das Echo hinein, wurde die Tür mit einem heftigen Seitenzug aufgerissen.
Im Rechteck stand die Bestie, schaute in das Abteil und ließ ein drohendes Knurren hören.
»Ich glaube, das war eine Aufforderung«, sagte mein Landsmann, schaute den Russen an und erhob sich aus seinem schweren Ledersessel. »Kommen Sie auch, Towaritsch, sonst werden die Bestien noch ärgerlich.«
Der Russe erhob sich ebenfalls. Er war blaß geworden und hatte gleichzeitig rote Wangen bekommen.
Ich durfte als erster gehen.
Von vier gelben Raubtieraugen wurde ich beobachtet. Ich kam mir dabei vor, wie in die Zange genommen. Wären jetzt nicht die anderen Geiseln gewesen, hätte ich die Waffe gezogen und zweimal gefeuert. So aber mußte ich mich fügen und rechnete auch damit, allmählich am Ende dieser Werwolf-Spur angelangt zu sein.
Wenn sie ihr endgültiges Ziel erreicht hatten, was geschah dann mit den Menschen?
Diese Frage bedrückte mich. Ich wußte keine Antwort zu geben.
Wurden die Geiseln
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