0374 - Ein Mörder rechnet zweimal ab
nicht.
Ich ging zum Jaguar, überzeugte mich davon, daß man noch nichts abmontiert hatte, bog dann in die Mulberry Street und hielt nach der Pension Ausschau.
Es war ein graues Haus mit narbiger Fassade, alten morschen Fensterläden, von denen die Farbe längst abgeblättert war, und rostiger Feuerleiter an der Vorderfront. Über der schmalen Eingangstür hing ein Schild mit der Aufschrift »Wilsons Pension«.
Ich trat in einen engen muffigen Flur, an dessen Ende eine Treppe begann. Da es keine Türen gab, ging ich zur Treppe und stieg hinauf. Die Holzstufen knackten bedrohlich unter meinem Gewicht. Als ich im ersten Stock ankam, wurde eine Tür auf der rechten Seite aufgerissen, und eine junge Frau trat über die Schwelle. Das Gesicht war kantig, auf der Oberlippe hatte das holde Wesen einen dünnen schwarzen Schnurrbartflaum. Braune glitzernde Augen schätzten mich ab. Die Frau trug das fast bis zur Hüfte reichende Haar offen, was ihr das Aussehen einer Zigeunerin gab.
Die Musterung dauerte nur ein paar Sekunden, dann war sich die Frau — ihr schien dieser Laden zu gehören — darüber klar, daß ich als Gast nicht in Frage kam.
»Was wollen Sie?«
Ich zückte wieder einmal meinen FBI-Stern und sagte mein Sprüchlein, dann zeigte ich das Foto von Dominik Tresoro und fragte dreist: »In welchem Zimmer wohnt er?«
Sie machte keine Ausflüchte. »Dritter Stock, erstes Zimmer links. Ich glaube, er ist zu Hause. Sicherlich schläft er noch.«
»Dann werde ich ihn wecken.«
Ich kletterte die nächste Treppe empor und dann noch eine. Im dritten Stock hing eine Luft, aus der man Figuren hätte kneten können. Ich ruderte durch den Mief, sah die erste Tür links und schlich auf Zehenspitzen näher. Meine Vorsicht bewährte sich. Ich hörte Stimmen. Zwei Männer sprachen in Tresoros Zimmer miteinander, und die eine Stimme kam mir außerordentlich bekannt vor.
, Als ich die Ohren spitzen wollte, um ein paar Brocken aufzufangen, knarrte unter meinen Füßen eine Diele so laut, daß ich mich im Geiste schon durch ein Loch im Boden in den zweiten Stock segeln sah.
Das Gespräch hinter der Tür brach augenblicklich ab. Jetzt knackte es im Zimmer, als bewege sich ein Elefant über einen Berg leerer Zigarrenkisten. Dann wurde die Tür von innen aufgerissen.
Dominik Tresoro trug eine fleckige Leinenhose und ein verschwitztes Unterhemd. Er war unrasiert, und die brandroten kurzgeschorenen Haare standen in allen Richtungen von dem runden Schädel ab.
»Was schleichen Sie hier ’rum?« giftete er.
»Das scheint nur so. Ich habe in jedem Schuh einen Nagel und muß vorsichtig auf treten. Aber es ist nett, daß Sie schon auf gemacht haben. Ich will nämlich zu Ihneh.«
»Ich kenne Sie nicht und habe keine Lust, Sie…«
»Sie sollen mich kennenlernen«, sagte ich und meinte es doppeldeutig. »Ich heiße Cotton und bin G-man. Hier ist mein Ausweis. Und nun lassen Sie mich ’rein und sagen Sie Mr. Frank Zwillinger, daß es keinen Zweck hat, sich unter dem Bett zu verkriechen, denn ich habe seine melodische Stimme schon vernommen.«
»Ich hatte nicht die Absicht, mich zu verkriechen«, tönte es aus dem Zimmer.
Tresoro stieß die Tür ganz auf, so daß ich den Detektiv sehen konnte. Er hockte auf einem wackeligen Stuhl am Tisch und hatte die Lippen so hart aufeinandergepreßt, daß sie nicht viel breiter als ein Messerrücken waren. Der Rothaarige blickte von ihm zu mir und leckte sich über die Mundwinkel.
»Ich habe die unangenehme Eigenschaft, daß ich immer zur falschen Zeit auftauche«, sagte ich. »Aber auf diese Weise erwische ich die Richtigen.«
»Was wollen Sie damit sagen?« fragte der Detektiv.
»Nichts.« Ich wandte mich an Tresoro. »Darf ich eintreten?«
Der Bursche nickte. Aber seine Miene war so sauer, daß ich fast Sodbrennen bekam.
Ich schritt über die Schwelle, lehnte mich neben der Tür mit dem Rücken an die Wand und ließ meinen Blick durchs Zimmer schweifen. Der Raum war so klein, daß man unwillkürlich flacher atmete, um nicht zuviel Platz einzunehmen. Es gab einen schäbigen Schrank, einen schäbigen Tisch, zwei wacklige Stühle und ein schmales Bett.
Tresoro schloß die Tür, machte anderthalb Schritte bis zum Tisch und ließ sich auf dem zweiten Stuhl nieder. Die rotgeäderten Basedowaugen waren auf mich gerichtet.
»Damit keine Mißverständnisse entstehen, Mr. Cotton«, sagte Zwillinger hastig, »ich kenne Mr. Tresoro erst seit gestern abend. Er war der Mann, der mir einreden
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