0378 - Mörder-Totem
tun sie übrigens noch heute, wenn sie auf Wanderschaft gehen. - Auch bei dieser roten Stadt, wie sie sie nennen, haben sie also nicht selbst gekämpft, wenn man der Legende Glauben schenken kann. Und ich denke, das kann man. Die Hopi halten das überlieferte Wissen in hohen Ehren. Die wenigsten Clans haben etwas von ihrer langen Geschichte vergessen. Und die meisten Hopi verstehen heute noch die Felszeichen und Inschriften, die vor Jahrtausenden ins Gestein gemeißelt und gemalt wurden, klar und deutlich zu lesen, obgleich sich ihre Schrift und ihre Symbolik in dieser Zeit mehrmals geändert hat.«
»Verblüffend«, gestand Zamorra. »Wer waren denn diese Kachinas, die du erwähntest?«
»Halte dich lieber fest«, warnte Tendyke. »Sie waren Berater und Helfer -und kamen nicht von der Erde. Sie waren Außerirdische.«
Zamorra pfiff durch die Zähne. »Außerirdische?«
»Daran ist nichts Ungewöhnliches«, sagte Tendyke. »Die meisten Indianerlegenden und Mythen sprechen von Außerirdischen. Bei den Hopi heißt es, daß in der Ersten Welt, die Toktela genannt wurde, der Schöpfer Taiowa die Menschen erschuf. Später wanderten sie von dort aus, von Welt zu Welt, bis sie schließlich die Erde erreichten. Taiowa gab ihnen das oberste Gebot, das heißt: Du sollst nicht töten. Daran halten sie sich heute noch. Toktela heißt übrigens in unsere Sprache übersetzt ›Unendlicher Weltraum‹.«
Zamorra nickte nachdenklich. »Das müßte doch die ›Ancient Astronats’‹ und Erich von Däniken brennend interessieren«, meinte er.
Tendyke grinste. »Was glaubst du wohl, was längst geschehen ist, schon vor Jahren? Däniken hat übrigens in Südamerika eine Ruinenstadt gefunden, auf die die Beschreibung der Roten Stadt hundertprozentig paßt. Demnach müßten die Hopi von dort gekommen sein. Aber das hat mit ihren gegenwärtigen Problemen ja nichts zu tun. Sie sterben langsam aus, und wahrscheinlich deshalb, weil sie an unserer auf Aggression ausgerichteten Zivilisation kranken. Und bevor sie hier ihr Reservat bekamen, wurden sie außer von den Weißen auch noch von den Navajos bedrängt. Symbolisch ist das auch heute noch der Fall. Das Navajo-Reservat schließt das der Hopi ringförmig ein.«
Unwillkürlich tastete Zamorra nach seiner Gürtelschnalle, einer Navajo-Arbeit mit Silber und Türkis, die er vor einiger Zeit in Phoenix erstanden hatte. Das Motiv war ein magisches Schutzsymbol. Und selbst wenn sein Zauber vernachlässigbar schwach war - vielleicht konnte es in manchen Situationen wenigstens etwas helfen.
»Dann ist mir natürlich klar,, welchen Schock es für sie bedeutet, daß einer von ihnen plötzlich mordet.«
»Und noch dazu auf eine so furchtbare Weise«, bekräftigte Tendyke. »Auch deshalb müssen wir ihn schnell fassen. Was hast du vor?«
»Einer von uns wird heute nacht hier draußen Spaziergänge machen. Damit ist er der Köder. Der Mörder wird kommen und glauben, er hätte leichtes Spiel. Wir anderen lauern unsererseits ihm auf, und sobald er angreift, schnappen wir ihn.«
Tendyke tippte gegen Zamorras Amulett. »Bist du sicher, daß das funktioniert? Es hat immerhin bisher keine Spur von Fremdmagie aufgenommen.«
»Notfalls habe ich noch meinen Dhyarra«, sagte Zamorra.
»Und wer von uns, meinst du, soll den Köder spielen?«
»Du«, sagte Zamorra trocken. »Die Mädchen möchte ich damit nicht belasten.«
»Weißt du, was ich mir manchmal wünsche?« fragte Tendyke. Zamorra sah ihn fragend an, und der Abenteurer fuhr fort: »Dein Talent zu haben, was das Verteilen von unangenehmsten und gefährlichsten Aufgaben angeht. Schon gut, ich stelle mich da draußen hin und lasse mich überfallen. Was machen wir übrigens, wenn wir ihn haben?«
»Wir stellen schlicht und ergreifend fest, weshalb er zur Bestie in Menschengestalt geworden ist, und versuchen ihn zu erlösen. Also entweder ein Exorzismus, falls er besessen ist, wie White Spear und du annehmen, oder…«
»Oder die geweihte Silberkugel ins Herz, falls es ein Werwesen ist, nicht wahr?«
»Wenn es nicht anders geht… aber vorher möchte ich versuchen, ob ich ihn nicht von dem Fluch befreien kann. Es gibt immer einen Weg.«
»Viel Erfolg dabei…«
»Erst mal müssen wir ihn haben«, sagte Zamorra. »Dann können wir uns um alles andere kümmern.«
Tendyke nickte. Er sah zum Hügel mit dem Totempfahl hinauf und verengte die Augen zu schmalen Spalten.
»Irgend etwas stimmt mit diesem Pfahl nicht«, sagte er.
***
Die Nacht
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