038 - Der Geistervogel
schaltete sich Jan ein. „Wir kommen später vorbei.“
„Tun Sie das“, sagte Guna, nickte ihnen zu und schloß die Tür.
„Sie sieht erschreckend aus“, bemerkte Jan leise, als Haike neben ihm stehen blieb. „Sie erkannte uns nicht. Entsetzlich.
Sie muß umgehend in ärztliche Behandlung.“
„Silke erzählte mir. daß ihre Eltern heute in Husum bei einem Spezialisten waren. Ich verstehe aber nicht, weshalb Silke das Haus verlassen hat. Sie war so ängstlich nach dem Traum, den sie gehabt hatte. Vielleicht hat sie es sich doch überlegt und ist zum Leuchtturm gegangen. Schauen wir rasch vorbei.“
Jan hatte nichts dagegen. Sie verließen das Dorf und erreichten den Strand. Das Meer war ruhig, ein sanfter Wind strich über ihre Gesichter. Es war still und friedlich. Einige Sandregenpfeifer liefen erschreckt davon.
„Irgend etwas stimmt nicht mehr auf unserer Insel“, sagte Haike. „Lache nicht, Jan, aber es ist doch so. Diese seltsamen Vorfälle, alle Leute sind gereizt, und sieh dir nur Frau Thorensen an. Das ist doch nicht normal. Irgend etwas Unheimliches geht hier vor.“ „Um Himmels willen, Haike, fang jetzt nicht auch du damit an. Es gibt keine Hexen und Zauberer. Alles wird seinen natürlichen Ursprung haben.
Jahrelang blieb die Insel vom Unglück verschont, und kaum passieren einige Unglücksfälle, bricht schon der Aberglaube durch. Laß dich davon nicht anstecken.“
„Ich glaube nicht an Hexerei, Jan. Aber es kann doch vielleicht auch etwas anderes dahinter stecken.“
„Und was sollte das sein?“
„Vielleicht ein Wahnsinniger, der es sich zum Ziel gesetzt hat, uns alle ins Unglück zu stürzen.“
„Komm, Haike, du liest zu viele Krimis.“
Sie blieben stehen, als die Tür des Leuchtturms geöffnet wurde, und Gerd Thorensen heraustrat. Auf den Armen trug er Silke, ihr Gesicht war blutüberströmt, und der Kopf baumelte unnatürlich hin und her. Hinter Thorensen tauchte Frau Brockenhausen auf, die entsetzt die Hände rang.
Schließlich kam auch der Leuchtturmwärter heraus, der Thorensen nachlief und ihm etwas zurief, was Haike und Jan nicht verstehen konnten, da sie zu weit entfernt waren.
„Was ist mit Silke?“ fragte Haike ängstlich.
Jan gab keine Antwort. Wie Silkes Kopf hin und her pendelte, war er sicher, daß das Mädchen tot war. Sie mußte sich das Genick gebrochen haben.
Brockenhausen packte Thorensen an der Schulter und schrie ihm wieder etwas zu, doch er reagierte nicht. Stur ging er weiter, seine Tochter in den Armen.
Thorensens Gesicht sah erschreckend aus. Es war eine verzerrte Fratze, die Augen quollen fast aus den Höhlen und flackerten unruhig. Plötzlich blieb er stehen, er hatte Jan und Haike gesehen. Sein Mund öffnete sich, und er fletschte die Zähne wie ein Raubtier. Vorsichtig legte er Silke auf den Sand, sprang über die Tote und rannte auf Jan und Haike zu. Drohend schwang er seine Arme. Schweiß rann über sein Gesicht. Er kam rasch näher. Der Leuchtturmwärter folgte ihm keuchend, er fiel aber weit zurück.
„Was hat Thorensen vor?“ fragte Haike angstvoll und drängte sich gegen Jan.
Jan konnte es sich denken, er schob Haike zur Seite und trat einen Schritt vor. Thorensen war völlig von Sinnen.
Schaum stand vor seinem Mund, und er rollte die Augen.
„Bleib stehen, Gerd!“ brüllte der Leuchtturmwärter, der etwa dreißig Meter hinter Thorensen lief.
„Jetzt geht es dir an den Kragen, du Mörder“, brüllte Thorensen. Er war noch zehn Meter von Jan entfernt. „Du Hexer, du verdammter.“
„Du mußt davonlaufen, Jan!“ rief Haike aufgeregt. „Er bringt dich sonst um.“
Doch Jan hörte nicht auf das Mädchen, er ging noch einen Schritt vor und blieb breitbeinig stehen. Unwillkürlich ballte er die Hände zu Fäusten.
Da war auch Thorensen heran. Er versuchte Jan zu packen, der blitzschnell zur Seite trat und Thorensen ins Leere laufen ließ. Der Rasende taumelte einige Schritte weiter, blieb stehen, drehte sich um und ging wieder zum Angriff vor. Ungestüm rannte er auf Jan zu, diesmal schwang er aber die großen Fäuste.
„Nehmen Sie Vernunft an, Thorensen“, sagte Jan.
„Ich bring dich um, du Mörder!“ brüllte Thorensen. Er änderte seine Taktik, blieb kurz stehen und schlich geduckt näher, dann schoß er die rechte Faust nach vorn, doch Jan blockte den Schlag ab und gab dem Tobenden einen Stoß vor die Brust, der ihn zurücktaumeln ließ.
„Ich bekomme dich schon“, keuchte Thorensen. Mit der linken Hand
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