038 - Der Geistervogel
sitzen bleiben. Er ging unruhig im Wohnzimmer auf und ab. Seine Frau saß im Schaukelstuhl und nahm die Umwelt nicht wahr.
Friedsen und Weber waren entsetzt gewesen, als sie die Veränderung bemerkten, die mit den beiden in der Zeit vor sich gegangen war, als sie sie das letzte Mal gesehen hatten.
Frau Thorensen reagierte auf keine Frage, sie stierte sie nur verständnislos an, und er war so zerfahren, daß er kaum ein vernünftiges Wort herausbrachte.
„Wie war das mit dem Traum, Herr Thorensen?“
„Ich sagte es Ihnen doch“, sagte er und ging weiter hin und her. „Sie hatte einen Traum, so wie Ingrun. Eine Frau warnte sie, nicht aus dem Haus zu gehen. Sie wollte nicht aus dem Haus gehen, doch irgend etwas brachte sie dazu. Was es war, kann ich Ihnen nicht sagen. Dabei wollte ich nicht nach Husum fahren, sondern die Fahrt verschieben, doch Silke überredete mich.
Wäre ich nur nicht gefahren, dann würde sie noch leben, da ich sie auf keinen Fall aus dem Haus gelassen hätte.“
„Aber ich bitte Sie, Herr Thorensen“, sagte der Kommissar sanft. „Sie werden doch nichts auf dieses abergläubische …“
Thorensen blieb abrupt stehen und musterte den Kommissar finster. „Ich gebe sehr wohl etwas auf dieses abergläubische Geschwätz, Herr Kommissar. Meine Töchter hatten beide diese Erscheinung. Beiden erschien die schwarzgekleidete Frau. Beide erhielten die Warnung. Und beide starben unter seltsamen Umständen. Und da kommen Sie mir daher und quasseln etwas von abergläubischem Geschwätz.“
Thorensen rang nach Luft. „Und ich weiß auch, wer dahintersteckt. Ich sagte es Ihnen schon einmal. Es ist dieser gottverdammte Jan Hansen. Er hat Unglück über unsere Insel gebracht. Meine Töchter sind tot, meine Frau ist wahnsinnig. Sehen Sie sich meine Frau an. Sie sitzt da und versteht nichts mehr. Sie lebt in einer Welt, die nicht die unsere ist. Ich werde mir diesen Hansen kaufen, das schwöre ich.“
„Ich will es Ihrer begreiflichen Erregung zuschreiben“, sagte Friedsen, „daß Sie so haltlose Behauptungen aufstellen.
Aber ich muß Sie trotzdem bitten, sich zu mäßigen und keine Drohungen auszustoßen. Ich weiß, daß Sie Jan Hansen angriffen und ihn umbringen wollten, eigentlich sollte ich …“
„Was sollten Sie?“ brüllte Thorensen und blieb vor Friedsen stehen. „Vielleicht mich verhaften, was? Da suchen Sie sich den Falschen aus. Halten Sie sich an Hansen, der ist der Mörder.“
Friedsen stand auf. „Können Sie mir verraten, wie Hansen Ihre Tochter ermorden hätte sollen? Er befand sich mit Ihnen auf dem Fährschiff, ging dann zu seinen Eltern und danach zu Haike. Gemeinsam gingen die beiden zu Ihrem Haus, Sie waren nicht da, und sie gingen Sie suchen. Wie hätte er da in den Leuchtturm kommen können?“ Thorensen stieß ein höhnisches Lachen aus. „Ich sage Ihnen doch, er ist ein Hexer. Er ist mit dem Teufel im Bunde.
Für ihn gibt es keine Entfernungen. Er kann gleichzeitig an verschiedenen Punkten sein, er …“
„Genug“, sagte Friedsen scharf. „Ich habe keine Lust, mir diesen Unsinn länger anzuhören. Ich bedauere sehr, daß Ihre Töchter tot sind, und mein Mitgefühl ist bei Ihnen. Aber ich kann es einfach nicht gutheißen, welchen Unsinn Sie da reden. Reißen Sie sich zusammen, Mann, sonst schnappen Sie noch über.“
„Ich werde Ihnen jetzt etwas sagen, Sie Obergescheiter“, sagte Thorensen und ballte die Hände zu Fäusten. „Sie können mich nicht von meiner Überzeugung abbringen, und ich werde überall herum erzählen, daß Hansen am Tod meiner Kinder schuld ist. Das werde ich tun, das verspreche ich. Und ich …“
„Jetzt ist es aber endgültig genug“, brüllte Friedsen und lief rot an. „Wenn Sie das tun, dann ist Ihnen doch hoffentlich klar, daß Hansen Sie wegen böswilliger Verleumdung belangen kann.“
„Dann soll er es doch tun“, kreischte Thorensen.
„Kommen Sie, Weber“, sagte der Kommissar. „Wir gehen.
Auf Wiedersehen, Herr Thorensen.“
Thorensen gab ihm keine Antwort. Er stierte ihnen nach; als sie das Zimmer verlassen hatten, holte er eine Flasche Schnaps aus dem Kühlschrank, stellte die Flasche auf den Tisch und füllte ein Bierglas voll mit Schnaps. Er setzte das Glas an die Lippen und trank es auf einen Zug leer, sofort schenkte er sich noch ein Glas ein.
„Schweine“, knurrte er. „Alles Schweine.“ Mit der geballten Faust schlug er auf die Tischplatte, daß das Glas und die Flasche zu tanzen
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