038 - Der Rächer
Szene zu setzen. Temperament haben Sie - das heißt, darunter verstehe ich, dass Sie zum Doktor laufen und sich Atteste ausstellen lassen, wenn ein Film halb gedreht ist, und dann so lange nicht erscheinen, bis ihr Gehalt um fünfzig Prozent erhöht ist! Gott sei Dank ist dieser Film noch nicht einmal zum achten Teil gedreht. Geben Sie nur ruhig Ihre Stellung auf, Sie niederträchtige Gans! Machen Sie, dass Sie fortkommen!« Stella kochte vor Wut. Ihre Lippen zitterten. Sie konnte nicht sprechen, drehte Jack den Rücken und sauste aus dem Atelier. Es war ganz ruhig geworden, keiner sagte ein Wort. Jack Knebworth ließ seine Blicke über die Leute schweifen.
»Jetzt ereignet sich das große Wunder«, sagte er ironisch. »Jetzt kommt der Moment, wo eine Statistin, die mit einer kranken Mutter in ärmlichsten Verhältnissen lebt, über Nacht zur Berühmtheit wird. In Hollywood passieren noch ganz andere Dinge. Wir werden jetzt eine zweite Mary Pickford entdecken!«
Die Statistinnen lächelten. Einige hofften, andere waren neidisch, aber keine sprach. Helen war zu Eis erstarrt, ihre Stimme versagte.
»Bescheidenheit gehört nicht zu unserem Fach«, sagte Jack liebenswürdig. »Wer hält sich für fähig, die Rolle der Roselle in diesem Film zu übernehmen? Ich will eine Statistin diese Rolle spielen lassen. Ich will dieser verrückten Stella einmal zeigen, dass wir selbst unter unserem Personal genügend junge Damen haben, die sie ersetzen können. Mir hat doch noch gestern jemand gesagt, dass er gern eine Rolle haben möchte -das waren Sie -«
Er zeigte auf Helen. Ihr Herz schlug mit rasender Heftigkeit, als sie zu ihm hinging.
»Vor sechs Monaten habe ich eine Probeaufnahme von Ihnen machen lassen«, sagte der Direktor nachdenklich. »Da war irgend etwas auszusetzen - was war es doch gleich?«
Dabei wandte er sich an den Operateur. Der junge Mann nickte, als ob er sich darauf besinnen könnte.
»Waren es nicht die Fußgelenke?« fragte er auf gut Glück. Er wusste, dass Knebworth sehr auf schlanke Fesseln hielt.
Jack schaute schnell auf Helens Füße. »Nein, das kann es nicht sein - suchen Sie schnell den Filmstreifen heraus, wir wollen ihn gleich ansehen.«
Zehn Minuten später saß Helen an der Seite des alten Mannes in dem kleinen Projektionsraum und sah, wie ihre Probeaufnahme vorgeführt wurde.
»Ihr Haar war es«, sagte Knebworth triumphierend. »Ich wusste doch, dass etwas auszusetzen war. Kurzes Haar bei Damen kann ich nicht recht leiden, da sehen die Mädchen zu schnippisch und zu naseweiß aus. Haben Sie jetzt eine andere Frisur?« fragte er und ließ das Licht andrehen.
»Ja, Mr. Knebworth.«
Er betrachtete sie mit fachmännischer Bewunderung.
»Sie werden die Rolle spielen«, sagte er zögernd. »Gehen Sie in den Ankleideraum und nehmen Sie die Kleider von Miss Mendoza. Aber ich muss Ihnen vorher noch etwas sagen«, bemerkte er und hielt sie einen Augenblick zurück. »Mag nun der Versuch mit Ihnen gut oder schlecht ausfallen, bei meiner Gesellschaft haben Sie keine große Zukunft. Machen Sie sich keine Hoffnungen. In England liegen die Dinge nun einmal so, dass eine Filmschauspielerin nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn sie einen Filmdirektor heiratet. Und ich möchte gleich von vornherein sagen, dass ich nicht die Absicht habe, Sie zu heiraten, selbst wenn Sie mich auf den Knien darum bitten sollten. Das ist die einzige Möglichkeit, in England als Filmstar berühmt zu werden - und wenn Sie das nicht fertig bringen, dann ist Ihr Erfolg gleich ...«
Dabei schnippte er mit den Fingern.
»Ich möchte Ihnen einen Rat geben, Kind. Wenn Sie in diesem Film Talent beweisen, dann gehen Sie zu einem der großen Filmdirektoren in England und lassen sich von ihm engagieren.
Wissen Sie, zu einem, der drei Klubsessel und einen Blumentopf mit einer Palme zusammenstellt und dieses Szenarium einen Salon nennt. Geben Sie dem Fräulein - wie ist doch gleich wieder Ihr Name - das Manuskript, Harry! So, nun gehen Sie an irgendeinen ruhigen Ort und studieren Sie Ihre Rolle. Harry, sehen Sie nach dem Ankleideraum! Und Sie haben eine halbe Stunde Zeit, das Manuskript zu lesen.«
5
Wie im Traum ging Helen in den schattigen Garten, der sich an der Längsseite des Ateliers hinzog. Sie setzte sich auf eine Bank und versuchte, ihre Gedanken auf die maschinengeschriebenen Seiten zu konzentrieren. War es denn Wirklichkeit, was sie erlebte? - Da hörte sie Schritte auf dem Kiesweg und schaute erschreckt auf. Der
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