038 - Der Rächer
»Es ist möglich, dass es nicht zu einem Manuskript gehörte, sondern nur eine Probeseite war, die uns ein Autor geschickt hat. Es könnte außerdem von meinem Vorgänger herrühren - ich habe nämlich das ganze Atelier von einer Filmgesellschaft übernommen, die in Konkurs geriet. Da sind viele Manuskripte liegengeblieben, die wir einfach übernommen haben.« Der Direktor schaute ungeduldig nach der Uhr.
»Mr. Brixan, können Sie mich jetzt entbehren? Ich muss einige Szenen aufnehmen, etwa zehn Kilometer von hier entfernt. Dazu kommt noch, dass Sie meine Schauspielerin durch Ihr Erscheinen durcheinandergebracht haben. Sie können sich denken, dass das meine Arbeit nicht gerade fördert.«
Mike folgte einem plötzlichen Einfall.
»Würden Sie gestatten, dass ich zu den Aufnahmen mitfahre? Ich verspreche Ihnen hoch und heilig, dass ich niemandem im Weg sein werde.«
Der alte Jack sah ihn einen Augenblick an und brummte. Dann aber nickte er zustimmend, und zehn Minuten später saß Mike Brixan neben dem jungen Mädchen in dem großen Autobus, der sie zu dem Ort brachte, wo die Aufnahmen stattfinden sollten Und als er nun mit den Künstlern hinausfuhr, war er froh, dass er seinen Willen durchgesetzt hatte und nicht bescheiden zurückgeblieben war.
6
Helen schwieg lange Zeit. Der Unwille, dass er ihr seine Gesellschaft aufgezwungen hatte, und eine Nervosität, wie die Probe ausfallen würde, machten ihr eine Unterhaltung unmöglich. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto größer wurde ihre Unruhe.
»Wie ich sehe, kommt Mr. Lawley Foß auch mit«, sagte Mike, indem er sich umsah und krampfhaft eine Unterhaltung anfangen wollte.
»Er geht immer mit, wenn wir Außenaufnahmen machen«, sagte sie kurz. »Manchmal muss ein Manuskript während der Aufnahme geändert werden.« »Wo fahren wir hin?« fragte er.
»Zuerst nach Griff Towers«, entgegnete sie. Es wurde ihr schwer, unhöflich zu sein. »Es ist eine große Besitzung, die Sir Gregory Penne gehört.« »Ich dachte, wir führen nach Dower House.«
Sie sah ihn mit Stirnrunzeln an. »Warum fragen Sie denn, wenn Sie es besser wissen?« entgegnete sie mit einer gewissen Schärfe.
»Weil ich Sie gern sprechen höre«, sagte er ruhig. »Sir Gregory Penne - ich glaube den Namen zu kennen.« Sie antwortete nicht.
»War er nicht früher lange Jahre in Borneo?« »Er ist unausstehlich«, sagte sie heftig. »Ich hasse ihn.« Sie gab Mike keinen näheren Grund dafür an, und er wollte sie nicht durch Fragen verletzen. Aber plötzlich fuhr sie fort: »Zweimal war ich dort. Er hat einen sehr schönen Park, in dem Mr. Knebworth schon öfters Aufnahmen gemacht hat. Damals kam ich als Statistin mit und hatte nur in der großen Masse zu spielen. Ich wollte, ich wäre noch viel weniger aufgefallen. Er ist ein großer Schürzenjäger und besonders hinter Schauspielerinnen her. Damit will ich nicht behaupten, dass ich eine Schauspielerin bin«, fügte sie hastig hinzu. »Aber ich meine damit Leute, deren Beruf es ist, zu spielen. Gott sei Dank wird nur eine Szene in Griff Towers gedreht. Hoffentlich ist er nicht zu Hause - aber das ist unwahrscheinlich, denn er ist immer daheim, wenn ich dorthin muss.«
Mike sah sie von der Seite an. Der erste Eindruck, den er von ihrer Schönheit hatte, wurde wesentlich verstärkt. Ihre ernsten, großen, schönen Augen gefielen ihm. Er ahnte ihre Haltung gegenüber den Huldigungen des Sir Gregory, obwohl er ihn bisher nicht kannte.
»Es ist doch merkwürdig, dass alle Barone in Filmen und Romanen Bösewichter sind«, sagte er. »Aber alle, die ich in Wirklichkeit kennenlernte, waren meist Leute von sehr ehrenwertem Charakter. Aber ich falle Ihnen auf die Nerven, weil ich mich Ihnen aufgedrängt habe?« fragte er, indem er seine Stimme zu einem Flüstern dämpfte. Sie schaute ihn groß an.
»Das kann man wohl sagen,«, entgegnete sie frei heraus. »Mr. Brixan, heute ist die große Chance meines Lebens. Solch eine Gelegenheit kommt vielleicht nie wieder. Ich hielt es nicht für möglich. Derartige Glücksfälle finden sich sonst nur in Romanen. Sie werden verstehen, dass für mich alles davon abhängt, wie es heute ausgeht. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass mich Ihre Gegenwart dabei nervös macht. Aber noch viel mehr verwirrt es mich, dass die erste Szene, in der ich auftrete, in Griff Towers spielt. Mir ist der Platz so furchtbar verhasst«, sagte sie aufgebracht. »Dieses große, düstere Haus mit den vielen Tigerfellen und den
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