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038 - Der Rächer

038 - Der Rächer

Titel: 038 - Der Rächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
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selbst, und er schien stolz auf seine Verbrechen zu sein, die in seinen Augen Heldentaten waren.
    »Wenn Sie tatsächlich wünschen, dass ich heute Abend nach Chichester gehen soll, dann will ich es tun. Ihrer Meinung nach haben Sie ja recht, ebenso nach der Meinung Ihrer Vorgesetzten. Aber wenn Sie meiner Tätigkeit ein Ziel setzen, fügen Sie der leidenden Menschheit grausamen Schaden zu. Meine gute Absicht, ihr zu dienen, hat mich viele tausend Pfund gekostet. Aber ich bedaure es nicht.«
    Er nahm eine Flasche aus dem großen Eichenbüfett, das an der Wand stand, wählte mit größter Sorgfalt zwei Gläser aus und füllte sie.
    »Wir wollen auf unsere gegenseitige gute Gesundheit trinken«, sagte er mit seiner alten Höflichkeit, hob sein Glas an die Lippen und trank es mit demselben Genuss aus, mit dem alte Weinkenner einen guten Jahrgang kosten.
    »Sie trinken nicht, Mr. Brixan? Jemand anders hat schon getrunken.«
    Auf dem Büfett stand ein halbleeres Glas, Mike bemerkte es erst jetzt.
    »Der Wein hat ihm anscheinend nicht geschmeckt.« Mr. Longvale seufzte.
    »Nur wenig Leute können den Wein richtig schätzen«, sagte er, indem er ein Stäubchen von seinem Rock abstreifte. Er zog ein seidenes Taschentuch aus der Tasche, bückte sich und entfernte elegant den Staub von seinen Schuhen.
    Mike stand auf einem schmalen Teppich, der vor dem Kamin lag. Er hatte die Hand an der Pistole, seine Nerven waren gespannt. Er wartete nur auf den Moment, in dem Longvale versuchen wollte, etwas gegen ihn zu unternehmen. Wann und woher die Gefahr kommen würde, konnte er nicht ahnen, aber es war höchste Gefahr im Verzug. Er war durch das sanfte Betragen Longvales eher beunruhigt als erleichtert. Eine Gänsehaut überlief ihn.
    »Sie sehen, mein lieber ...«, begann Longvale zu sprechen und fuhr harmlos fort, den Staub von seinen Schuhen zu wischen.
    Plötzlich, bevor Mike merkte, was geschah, hatte Longvale das Ende des Teppichs, auf dem der Detektiv stand, gefasst und es mit einem schnellen Ruck zu sich hingezogen. Mike verlor das Gleichgewicht und fiel schwer zu Boden. Sein Kopf schlug gegen die eichene Täfelung, die Pistole glitt über den glatten Fußboden. Wie ein Blitz warf sich der Alte auf ihn, drehte Mikes Gesicht zu Boden und band ihm die Hände auf den Rücken. Mike versuchte sich zu wehren, aber in seiner nachteiligen Lage war er wehrlos wie ein Kind unter dem harten Griff Longvales. Er fühlte die Berührung kalten Stahls an seinen Handgelenken. Ein Scharnier schnappte ein. Er nahm alle Kraft zusammen und versuchte, seine andere Hand wegzuziehen, aber langsam wurde sie zu der anderen gedrängt, und das zweite Scharnier schloss sich.
    Draußen hörte man Schritte. Longvale erhob sich, zog hastig seinen Hausmantel aus und band ihn rings um den Kopf des Detektivs - es wurde an der Tür geklopft. Durch einen Blick über zeugte er sich, dass er vor seinem Gefangenen sicher sein konnte, dann löschte er die Lampe und einen der beiden Leuchter. Mit dem anderen ging er auf den Gang. Er war in Hemdsärmeln, und der Beamte von Scotland Yard, der draußen wartete, entschuldigte sich, dass er den alten Herrn gestört hatte, der anscheinend von seinem Schlafzimmer heruntergekommen war, um ihm auf sein Klopfen zu öffnen.
    »Haben Sie Mr. Brixan gesehen?«
    »Mr. Brixan? Ja, er war vor einigen Minuten hier und ging dann nach Chichester weiter.«
    Mike hörte draußen Stimmen, aber er konnte nicht unterscheiden, was gesagt wurde. Die seidene Hülle um seinen Kopf drohte ihn zu ersticken. Er war nahe daran, ohnmächtig zu werden, als Longvale allein zurückkam, den Hausmantel wieder abwickelte und sich anzog.
    »Wenn Sie Lärm machen, werde ich Ihre Lippen zusammennähen«, sagte er so ruhig und gutmütig, dass es unmöglich erschien, dass er seine Drohung auch ausführen würde. Aber Mike wusste nur zu gut, dass er nach dem Beispiel seines Großonkels verfuhr und nur das androhte, was jener oft in die Tat umgesetzt hatte. Dieser schöne alte Mann, der unter den Höflingen Ludwigs XVI. den Spitznamen eines »Monsieur de Paris« führte, hatte seine Opfer aufs Rad geflochten, sie gehenkt und enthauptet, aber er hatte auch gefoltert. In der alten Bastille befanden sich rauchgeschwärzte Räume, wo dieser alte, ehrwürdige Henker seine entsetzliche Pflicht getan hatte, ohne mit der Wimper zu zucken.
    »Es tut mir in vieler Beziehung leid, dass Sie daran glauben müssen«, sagte der alte Herr mit aufrichtigem Bedauern. »Sie sind

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