038 - Die Wasserleiche im Rio Negro
du?« fragte ich.
»Mein Name ist Pedro Vacos«, sagte die Stimme.
Eine Gestalt kam mir entgegen und blieb vor mir stehen. Der Schein des Feuers fiel auf sein Gesicht. Es war eingefallen und bartlos. Der Schädel war kahl geschoren. Die weit auseinanderstehenden Augen waren blutunterlaufen. Er war so wie ich völlig nackt.
»Bin ich was froh, dich zu sehen!« sagte die ausgemergelte Gestalt. »Endlich kann ich von hier verschwinden.«
Ich wurde aus seinen Worten nicht klug. »Seit wann bist du hier?«
Er hob die Schultern. »Mir kommt es wie eine Ewigkeit vor. Es muß Monate her sein, seit mich diese verdammten Weiber gefangengenommen haben. Setz dich!«
Ich setzte mich neben ihn auf ein einfaches, mit Laub bedecktes Bett.
Pedro Vacos kicherte blödsinnig vor sich hin.
»Weshalb darfst du jetzt verschwinden?« fragte ich ihn schließlich.
Er kicherte noch einige Zeit weiter, dann klatschte er sich auf die Schenkel. »Du bist meine Ablösung«, sagte er und wieherte vor Lachen.
Ich verstand noch immer nicht.
»Ich werde dir alles erklären«, sagte er, als endlich sein Heiterkeitsausbruch vorüber war. »Es wird dir nicht schlecht hier gehen. Du bekommst reichlich zu essen. Anfangs kam ich mir wie ein Pascha vor, das heißt, eher wie ein Zuchtbulle. Verstehst du?«
Langsam dämmerte es mir.
»Dieser Stamm besteht nur aus Frauen«, sagte Vacos. »Schon seit unzähligen Jahren. Sie behalten keine Männer bei sich. Früher raubten sie ein paar Mal im Jahr einige Männer von benachbarten Stämmen, die für Nachwuchs sorgen mußten, doch sie änderten ihr Leben, als ihnen ein weißer Mann in die Hände fiel. Das muß vor etwa vierzig Jahren gewesen sein. Seither sind sie nur noch auf weiße Männer scharf. Dir wird aufgefallen sein, daß die meisten eine ziemlich helle Hautfarbe haben, einige sind sogar blond. Alle Frauen sind Mestizinnen, manche schon in der dritten Generation. Und mit jeder Generation wird ihre Haut heller. Sie halten sich immer einen weißen Mann, der so lange bei ihnen bleiben muß, bis sie einen neuen fangen. Und nachdem sie dich haben, bin ich frei.«
Ich fuhr mir über die Lippen. Die Vorstellung, hier als eine Art Zuchthengst zu fungieren, war nicht unbedingt mein Geschmack. Seine Erzählung bewies mir aber, daß die Berichte über die Amazonen nicht erlogen waren.
»Du bist sicher, daß sie dich freilassen?« fragte ich ihn.
»Ganz sicher«, sagte er zuversichtlich.
Ich war da nicht so sicher. Ich kannte die Bräuche einiger dieser Stämme. Sie sollten der Kopfjägerei huldigen. Doch ich sagte nichts von meinem Verdacht.
»Einige der Mädchen sind recht nett«, sagte er. »Aber ich war nichts anderes als ein Sklave. Diesen Pfahlbau durfte ich nicht verlassen. Wenn eines der Mädchen Lust hatte, dann kam es zu mir herauf. Es kam aber nie allein. Immer waren ein paar andere dabei, die aufpaßten, damit ich mir nicht einfallen ließ, einen Fluchtversuch zu unternehmen.«
Er richtete sich auf und starrte über den Platz. »Da kommen sie schon«, sagte er zufrieden. »Die Rotblonde ist ihre Königin. Sie nennt sich Carcho.«
Ich stand auf. Eine Prozession näherte sich dem Pfahlbau. Zwei langbeinige, nackte Frauen gingen voran. In den Händen trugen sie goldene Stäbe, die mit seltsamen Mustern verziert waren. Hinter ihnen sah ich die Rotblonde. Um die Stirn trug sie einen goldenen Reif, der mit Edelsteinen besetzt war. Sie hatte einen bodenlangen Umhang aus scharlachroten Federn an. Hinter ihr gingen ein halbes Dutzend Mädchen, die mit Pfeil und Bogen bewaffnet waren.
»Sie haben einige seltsame Bräuche«, sagte Vacos, »aber daran wirst du dich gewöhnen.«
Die Leiter wurde angelegt, und drei Frauen traten auf die Plattform, eine zeigte auf Vacos und deutete dann auf die Leiter.
»Wenn sie dich tatsächlich freilassen«, sagte ich, »dann such die Gruppe, zu der ich gehöre. Sie ist nicht weit entfernt. Erzähle ihnen, wo ich mich befinde.«
»Danke für diesen Rat«, sagte Vacos und zwinkerte mir zu.
Ich sah ihm nach. Er rutschte fast die Leiter hinunter, wurde von einigen Kriegerinnen umringt und weggeführt.
Die Königin stieg gemächlich die Leiter hoch. Zwei der Frauen packten mich an den Handgelenken, die dritte trat hinter mich und drückte mir einen Speer in den Rücken. Sie zerrten mich auf die Plattform, und Carcho, ihre Königin, blieb vor mir stehen. Sie reichte mir bis ans Kinn. Ihre Haut schimmerte wie Elfenbein, die Backenknochen waren hochangesetzt, die
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