038 - Verbotene Sehnsucht
wichtig gewesen? Nicht dass sie wüsste.
Doch Mr. Hartley enthob sie der Verlegenheit, eine Antwort zu geben, denn schon fuhr er nach einem tiefen Durchatmen fort: „Ihr Sohn ist ein aufgewecktes Kerlchen."
Emeline krauste die Nase. „Zu aufgeweckt, würden manche meinen."
„Wie alt ist er?"
„Er wird im Sommer acht."
„Beschäftigen Sie einen Lehrer für ihn?"
„Ja, Mr. Smythe-Jones. Er kommt jeden Tag ins Haus." Sie zögerte, ehe sie impulsiv hinzusetzte: „Aber Tante Cristelle ist der Ansicht, dass ich ihn auf ein Internat schicken sollte, wie Sie eines besucht haben."
Er sah kurz zu ihr hinüber. „Ist er nicht noch zu jung, um von zu Hause fortgeschickt zu werden?"
„Viele vornehme Familien schicken ihre Söhne außer Haus -manche der Jungen sind noch jünger als Daniel." Sie merkte, wie sie gedankenverloren ein seidenes Band am Kragen ihres Kleides um den Finger wickelte, und strich es rasch wieder glatt.
„Meine Tante hat Angst, dass er mir zu sehr am Rockzipfel hängt. Und dass er in einem Haus voller Frauen kein richtiger Mann wird." Warum erzählte sie einem Mann, den sie kaum kannte, solch vertrauliche Dinge? Er musste sie für töricht halten.
Doch er nickte nur bedächtig und meinte: „Wie ich hörte, ist Ihr Mann verstorben."
„Ja. Daniel - mein Sohn wurde nach ihm benannt - starb vor fünf Jahren."
„Und doch haben Sie nicht wieder geheiratet."
Er neigte sich ihr zu, und nun endlich kam sie darauf, wonach sein Atem roch: Petersilie. Seltsam, dass ihr so ein heimeliger, vertrauter Geruch bei ihm so fremd vorkam.
Er senkte die Stimme. „Ich verstehe nicht, wie eine anziehende Dame wie Sie so lange allein bleiben kann."
Sie runzelte die Stirn. „Nun, genau genommen ..."
„Hier ist ja eine nette Teestube", rief Tante Cristelle hinter ihnen. „Mir tun von der Lauferei schon alle Knochen weh. Wollen wir nicht hier hineingehen?"
Mr. Hartley wandte sich um. „Verzeihen Sie, Ma'am. Ja, lassen Sie uns hier einkehren."
„Bien", sagte die Tante. „Dann wollen wir uns mal ein Weilchen ausruhen."
Mr. Hartley hielt ihnen die hübsche Tür aus Holz und Glas auf, und sie traten ein.
Kleine runde Tische standen über den Raum verteilt. Während die Damen sich bereits einen Platz suchten, ging Mr. Hartley den Tee holen.
Tante Cristelle beugte sich vor und tätschelte Rebecca das Knie. „Ihr Bruder ist sehr aufmerksam zu Ihnen", sagte sie wohlwollend. „Seien Sie dankbar - nicht alle Männer sind so. Und die wenigen, die es sind, bleiben oft nicht lange unter uns."
Diese letzte Bemerkung schien das Mädchen etwas zu irritieren, und so beschränkte sie sich auf die erste. „Oh ja, ich bin sehr dankbar. Samuel war stets gut zu mir, wenn er da war."
Emeline strich eine Spitzenrüsche an ihrem Rock glatt. „Mr. Hartley meinte, Sie wären bei Ihrem Onkel aufgewachsen."
Rebecca senkte die Augen. „Ja. Samuel habe ich nur ein- oder zweimal im Jahr gesehen, wenn er zu Besuch kam. Er kam mir immer so groß und furchtbar erwachsen vor, obwohl er damals jünger gewesen sein muss, als ich es heute bin.
Später, als er dann bei der Armee war, kam er in seiner prachtvollen Uniform. Das hat mich ziemlich beeindruckt. Und ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass er ganz anders geht als andere Männer? So leichtfüßig und unbeschwert, als könne er tagelang so laufen, ohne dass es ihn erschöpfte." Das Mädchen sah wieder auf und lächelte verlegen. „Wissen Sie, was ich meine? Besser kann ich es leider nicht beschreiben."
Emeline wusste dennoch genau, was Rebecca meinte. Mr. Hartley bewegte sich mit solch sicherer Anmut, dass sie meinte, er müsse seinen Körper besser kennen als die meisten Menschen. Sie drehte sich nach Mr. Hartley um. Er hatte sich angestellt und wartete, dass die Reihe an ihm war. Vor ihm stand ein älterer Herr, der gereizt die Stirn runzelte und ungeduldig mit dem Fuß wippte - womit er nicht der Einzige war.
Die anderen Wartenden wippten entweder auch mit dem Fuß, oder sie traten unruhig von einem Bein auf das andere. Nur Mr. Hartley stand völlig still und reglos.
Er wirkte weder ungeduldig noch gelangweilt, sondern eher so, als könne er stundenlang so stehen, das eine Bein leicht angewinkelt, die Arme vor der Brust verschränkt. Als er ihren Blick auffing, hob er die Brauen - ob fragend oder herausfordernd, hätte sie nicht sagen können. Doch ihre Wangen erhitzten sich, und sie wandte sich rasch ab.
„Sie und Ihr Bruder scheinen einander sehr
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