038 - Verbotene Sehnsucht
Anmut, fast liebevoll.
Sie sah beiseite. Ein Gefühl äußerster Gereiztheit - eine geradezu körperliche Irritation, wie ein Jucken auf der Haut - hatte sich ihrer von dem Augenblick an bemächtigt, da sie seine Stimme gehört hatte. Und ihn über die Mauer hinweg zu beobachten hatte diese Irritation nur noch gesteigert. Er hatte Rock und Weste abgelegt, was sich selbst in der Abgeschiedenheit des eigenen Gartens nicht schickte. Gentlemen entledigten sich nie, aber wirklich nie ihrer Kleidung, es sei denn, die Umstände erzwangen dies. Und Emeline wagte zu bezweifeln, dass man dies in der amerikanischen Wildnis anders handhabte.
Nun arbeitete er also in Hemdsärmeln. Das tadellos gestärkte Linnen hob sich blendend weiß von seiner gebräunten Haut ab. Die Ärmel hatte er hochgekrempelt, sodass die dunklen Haare auf seinen Unterarmen zu sehen waren. Emeline wusste, dass sie geradezu lächerlich empfindlich war, aber sie konnte nicht anders, als sich dieser Unterarme schockierend deutlich bewusst zu sein. Wie gern würde sie seinen Arm berühren, wie gern würde sie mit dem Finger über diesen schlanken Muskel fahren, wie gern würde sie spüren, wie die dunklen Haare über ihre Haut strichen ...
Zum Teufel mit ihm!
„Hatten Sie einen bestimmten Grund, sich die Soiree der Wes-tertons auszusuchen?", fragte sie in einem Ton, der sogar in ihren eigenen Ohren zänkisch klang.
„Nein." Noch immer schaute er nicht auf. Sein Zopf hing ihm über die Schulter, als er sich vorbeugte, um eine andere Stelle seines Gewehrs auf Hochglanz zu polieren.
Auch das fand sie unglaublich enervierend. Konnte er nicht endlich von diesem Gewehr ablassen? Die Sonne schien auf sein dunkles Haar und ließ einzelne hellbraune Strähnen aufschimmern.
Emeline betrachtete ihn argwöhnisch. Er ließ sich nichts anmerken, aber sie wusste genau, dass er log.
„Das reicht", sagte Mr. Hartley, und im ersten Moment glaubte sie, er spreche mit ihr.
Doch ehe sie sich echauffieren konnte, richtete Daniel sich strahlend auf. „Ist es jetzt sauber genug?"
„Blitzblank", sagte der Mann aus den Kolonien und besaß die Dreistigkeit, so geschickt aufzustehen, dass er sie dabei beinah berührte.
Emeline widerstand dem Impuls zurückzuweichen. Das könnte ihm gerade so passen. Aber wie groß er war! Es war ausgesprochen unhöflich von ihm, sich derart vor ihr aufzubauen.
„Darf ich es jetzt ausprobieren?", fragte Daniel.
Sie wollte gerade den Mund aufmachen und ein entschiedenes Nein! von sich geben, aber Mr. Hartley kam ihr zuvor. „Das ist nicht der richtige Ort, um ein Gewehr abzufeuern. Stell dir nur mal vor, was - oder wen - wir hier alles treffen könnten."
Schmollend schob ihr Sohn die Unterlippe vor. „Aber ..."
„Daniel", wies Emeline ihn zurecht. „Du solltest Mr. Hartley nicht bedrängen, nachdem er schon so freundlich war, dich beim Reinigen seines Gewehrs helfen zu lassen."
Mr. Hartley runzelte die Stirn, als missfalle ihm, was sie sagte. „Es war mir ein Vergnügen, Dannys Hilfe ..."
„Sein Name ist Daniel." Die Worte waren heraus, ehe sie sich mäßigen konnte. Ihr Ton war zu scharf, sie wusste es wohl.
Er starrte sie an und verzog kaum merklich den Mund.
Sie erwiderte seinen Blick ungerührt und reckte das Kinn.
„Daniel hat gute Arbeit geleistet", sagte er schließlich. „Es stört mich nicht, dass er hier ist."
Ihr Sohn strahlte, als hätte er ein ganz außerordentliches Lob bekommen.
Wahrscheinlich sollte sie dankbar sein, dass Mr. Hartley so nett und freundlich war und wusste, wie man zu kleinen Jungen sprach. Doch statt sich darüber zu freuen, reizte es sie nur noch mehr.
Mr. Hartley grinste Daniel an und bückte sich dann, um seine Putzlappen und das Ölkännchen aufzuheben. „Morgen Vormittag sind Sie wahrscheinlich mit Vorbereitungen für den Ball beschäftigt?"
Emeline blinzelte irritiert angesichts dieses abrupten Themenwechsels. „Nein, warum sollte ich? Würde ich den Ball geben, dann gewiss, aber ich besuche ihn ja nur."
„Gut." Als er aufsah, funkelten seine braunen Augen vergnügt, und Emeline erkannte, dass sie geradewegs in eine Falle getappt war. „Dann können Sie mich ja zu Mr. Wedgwood begleiten. Ich wüsste es zu schätzen, wenn eine Frau kurz ein Auge auf sein Sortiment wirft, ehe ich bestelle."
Gerade wollte sie etwas erwidern, was sie gewiss später bereuen würde, doch Mr. Smythe-Jones ersparte ihr diese Verlegenheit.
„Mylord? Lord Eddings?", kam seine Stimme von jenseits
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