038 - Verbotene Sehnsucht
der Mauer.
Daniel zog den Kopf zwischen die Schultern und flüsterte: „Nicht sagen, dass ich hier bin!"
Emeline hob die Brauen. „Unsinn. Du gehst jetzt sofort zu deinem Lehrer, Daniel."
„Aber ..."
„Tu lieber, was deine Mutter sagt", unterbrach Mr. Hartley ihn ruhig.
Wundersamerweise widersprach ihr Sohn nicht. Ganz im Gegenteil. „Jawohl, Sir", sagte er, trat an die Mauer und rief hinüber: „Hier bin ich."
Wieder ließ sich schwach die Stimme des Lehrers vernehmen: „Was, um alles in der Welt, machen Sie denn dort drüben? Kommen Sie sofort da runter, Lord Eddings!"
„Ich..."
Mr. Hartley sprang neben ihm auf die Marmorbank, die an der Mauer stand.
Erstaunlich, dass ein so stattlicher Mann sich so leicht und wendig bewegen konnte.
„Danny hat mir einen Besuch abgestattet, Mr. Smythe-Jones. Ich hoffe, Sie hatten nichts dagegen."
Von der anderen Seite der Mauer kam verdutztes Gebrummel.
„Komm schon, Danny." Mr. Hartley machte mit den Händen eine Trittleiter. „Ich helfe dir hinauf."
„Danke!", rief Daniel, stieg darauf und ließ sich von Mr. Hartley hochheben. Dann kletterte er auf die Mauer und von da auf den Ast des Apfelbaums, der über die Mauer ragte. Im nächsten Augenblick war er auf der anderen Seite verschwunden.
Emeline hielt den Blick auf ihre Schuhspitzen gerichtet, als sie hörte, wie der Lehrer ihren Sohn tadelte und sich schließlich mit ihm Richtung Haus entfernte.
Gedankenverloren drehte sie eines der Bänder ihres Rockes zwischen den Fingern.
Schließlich sah sie wieder auf.
Mr. Hartley betrachtete sie von der Höhe der Bank herab. Leichtfüßig sprang er hinunter und landete direkt vor ihr - mal wieder etwas zu nah. Seine kaffeebraunen Augen waren eindringlich auf sie gerichtet. „Warum soll ich Ihren Sohn nicht Danny nennen?"
Sie spitzte die Lippen. „Weil sein Name Daniel ist."
„Und Danny ist die Kurzform von Daniel."
„Er ist ein Baron. Eines Tages wird er einen Sitz im Oberhaus haben." Das Band schnitt ihr in die Finger. „Er braucht keinen Spitznamen."
„Brauchen vielleicht nicht." Er kam noch näher, sodass sie zu ihm aufsehen musste, wollte sie ihm in die Augen schauen. „Aber was ist denn dabei, wenn ein kleiner Junge einen Spitznamen hat?"
Sie holte tief Luft, wobei sie feststellte, dass sie ihn riechen konnte - eine Mischung aus Schießpulver, Linnenstärke und Waffenöl. Der Geruch hätte sie abstoßen sollen, doch stattdessen fand sie ihn seltsam ... angenehm. Geradezu erregend. Wie furchtbar.
„Es ist der Name seines Vaters", stieß sie hervor. Das Band zwischen ihren Fingern riss.
Ganz still stand er da, doch sein stattlicher Körper war so gespannt, als setze er zum Sprung an. „Ihr Mann?"
„Ja."
„Der Name erinnert Sie an ihn."
„Ja. Nein." Sie winkte ab. „Ich weiß es nicht."
Er begann, sie lauernd zu umkreisen. „Sie vermissen ihn. Ihren Mann."
Sie zuckte nur die Achseln und widerstand dem Impuls, sich umzudrehen, damit sie ihn anschauen konnte. „Wir waren sechs Jahre verheiratet. Es wäre seltsam, wenn ich ihn nicht vermissen würde, meinen Sie nicht?"
„Es ist keineswegs selbstverständlich, dass Sie ihn vermissen. Und ihn noch immer vermissen." Er stand nun hinter ihr und sprach über ihre Schulter. Sie meinte, seinen Atem an ihrem Ohr zu spüren.
„Was meinen Sie damit?"
„Haben Sie ihn geliebt?"
„Liebe wird bei einer Hochzeit in unseren Kreisen nicht in Betracht gezogen."
„Nein? Dann vermissen Sie ihn also nicht."
Sie schloss die Augen und erinnerte sich an lachende blaue Augen, die sie neckten.
An weiche blasse Hände, die so sanft gewesen waren. Eine Tenorstimme, die ohne Unterlass von Hunden, Pferden und Phaetons redete. Und dann erinnerte sie sich an dieses schrecklich bleiche Gesicht, wie es so unnatürlich starr, all seines Frohsinns beraubt auf dem schwarzen Satin des Sarges gebettet lag. Sie wollte diese Erinnerungen nicht. Sie taten zu weh.
„Nein." Blicklos wandte sie sich zum Haus und überlegte, wie sie schnellstmöglich diesem viel zu beengten Garten und diesem Mann, der ihr so dreist nachstellte, entkommen könnte. „Nein, ich vermisse meinen Gemahl nicht."
6. KAPITEL
Da schau einer an! Natürlich war der König seinem neuen Leibwächter sehr dankbar, der ihm mit einem Streich das Leben gerettet hatte. Eisenherz wurde als Held gefeiert und umgehend zum Hauptmann der königlichen Garde ernannt. Doch obwohl alle den Namen des vortrefflichen Gardisten wissen wollten, sprach er
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