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038 - Verbotene Sehnsucht

Titel: 038 - Verbotene Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Hoyt
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längst erschöpft hätte sein müssen.
    Lang genug, um die erste Erschöpfung überwunden zu haben. Lang genug, um einfach nur noch durchzuhalten. Sein Körper bewegte sich im monotonen Rhythmus einer Maschine. Nur dass Maschinen keine Verzweiflung empfanden. Wie lange er auch laufen mochte, seinen Gedanken konnte er nicht davonlaufen.
    Ein Soldat hatte sich das Leben genommen. Ein Soldat, der alle Schlachten überstanden hatte, die Märsche, das verdorbene Essen, die Winterkälte, die Krankheiten, die das Regiment von Zeit zu Zeit heimsuchten. Der all das lebend und unversehrt überstanden hatte, was an ein Wunder grenzte, einer der wenigen, die das Massaker unversehrt überlebt hatten. Der nach Hause zurückgekehrt war, in sein hübsches Häuschen, zu seiner liebenden Frau, wo der Krieg Geschichte war, eine Geschichte, die man sich allenfalls noch im Winter am Herdfeuer erzählte. Und doch war Craddock auf einen Stuhl gestiegen, hatte sich eine Schlinge um den Hals gelegt und den Stuhl unter sich weggetreten.
    Warum? Das war die Frage, vor der Sam nicht davonlaufen konnte. Warum sollte man, wenn man dem Tod schon ein Schnippchen geschlagen hatte, ihm dann mit offenen Armen entgegeneilen? Und warum jetzt, Jahre später?
    Er lief eine steile Anhöhe hinauf. Sein Atem kam stoßweise, seine Beine zitterten vor Erschöpfung, seine Füße schickten bei jedem Schritt stechende Schmerzen durch seinen Körper. Finsternis hatte sich über die Wiesen und Felder gelegt, was nicht gut war, barg doch nun jeder Schritt die Gefahr eines Fehltritts in sich. Ein Kaninchenloch oder ein bloßer Stein würden genügen, um ihn stürzen lassen. Aber er durfte nicht stürzen. Er musste weiterlaufen. Musste weiterlaufen, um die anderen zu retten. Blieb er stehen, wäre sein Grund wegzulaufen ein falscher gewesen. Dann wäre er nur noch ein Feigling, der vor der Schlacht flüchtete. Er war kein Feigling. Er hatte schon Schlachten überstanden. Er hatte Männer getötet, Weiße und Indianer. Er hatte den Krieg durchgestanden und war ein Gentleman geworden, ein vermögender und respektabler Mann. Andere hingen von ihm ab, hörten ihm aufmerksam zu und nickten ernst, wenn er sprach. Kaum jemand bezichtigte ihn heute noch, ein Feigling zu sein. Zumindest sagte niemand es ihm ins Gesicht.
    Mit dem linken Fuß blieb Sam an etwas hängen und stolperte. Doch er stürzte nicht.
    Geschickt fing er den Sturz ab, drehte sich einmal um die eigene Achse, schluchzte vor Schmerz, sah die Sterne am nächtlichen Himmel über sich verschwimmen.
    Lauf weiter. Gib nicht auf.
    Craddock hatte aufgegeben. Craddock war der Finsternis erlegen, die auch ihn bisweilen heimsuchte, den Albträumen, die seinen Schlaf zerrissen, den Gedanken, die er nicht verdrängen konnte. Craddock schlief jetzt. Friedlich. Ohne Albträume oder Angst um seinen Seelenfrieden. Craddock hatte jetzt seine Ruhe. Craddock hatte Frieden gefunden.
    Gib nicht auf.
    Emeline wusste nicht, was sie spät in der Nacht geweckt hatte, denn Samuel bewegte sich lautlos, still und heimlich wie eine Katze, die von ihren nächtlichen Streifzügen zurückkehrt. Aber als er das Zimmer betrat, wurde sie dennoch wach.
    In einem Sessel am Kamin hatte sie gewartet und setzte sich nun auf. „Wo waren Sie so lange?"
    Weder erschrak er, noch schien er überrascht, sie spätnachts in seinem Gemach anzutreffen. Blass und unergründlich wirkte sein Gesicht im Kerzenschein, als er seltsam steifen Schrittes auf sie zukam. Sie schaute hinab zu seinen Füßen. Jeder seiner Schritte hinterließ dunkle Flecken auf dem Teppich. Gerade wollte sie ihn tadeln, sich nicht den Schmutz von den Schuhen getreten zu haben, als sie begriff.
    Und mit einem Schlag war sie hellwach.
    „Oh, mein Gott, was haben Sie nur getan?" Sie sprang auf und nahm ihn beim Arm, drängte ihn in den Sessel, in dem eben noch sie gesessen hatte. „Sie törichter, törichter Mann!" Sowie er saß, legte sie rasch mehr Kohlen aufs Feuer, dann hielt sie die Kerze näher heran. „Was haben Sie getan? Was ist nur in Sie gefahren?"

    Dann verstummte sie, denn was sie im Kerzenschein sah, verschlug ihr die Sprache.
    Er hatte seine Mokassins durchgelaufen. In Fetzen hingen sie ihm von den Füßen.
    Und seine Füße erst ... oh, du lieber Gott, seine Füße, Sie waren unsäglich. Die blutigen Stumpen, von denen Jasper ihr Stunden zuvor erst erzählt hatte, waren vor ihren Augen Wirklichkeit geworden. Was sollte sie nur tun? Verzweifelt sah sie sich im Zimmer

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