038 - Verbotene Sehnsucht
Sie vielleicht ein Messer?"
Wortlos zog er eine schmale Klinge aus seiner Westentasche. Sie nahm sie und begann vorsichtig wegzuschneiden, was von seinen Mokassins geblieben war.
Manche der Lederfetzen klebten am eingetrockneten Blut fest, und obwohl sie sich alle Mühe gab, ließ es sich doch nicht vermeiden, manche Wunden wieder aufzureißen. Es musste ihm wehtun, aber er gab keinen Laut von sich.
Sie krempelte den bestickten Saum seiner Beinlinge hoch und schob ihm die Schüssel hin. „Stellen Sie Ihre Füße ins Wasser."
Er stieß ein leises Zischen aus, als das heiße Wasser seine Füße berührte. Doch als sie ihn anschaute, sah sie nur Erschöpfung in seinem Blick. Seine Schmerzen ließ er sich nicht anmerken.
„Wie lange sind Sie gelaufen?", fragte sie.
Fast hätte sie erwartet, dass er abstreiten würde, überhaupt gelaufen zu sein, doch er tat es nicht. „Ich weiß es nicht", sagte er.
Sie nickte und senkte den Blick auf die Schüssel. Das Wasser färbte sich besorgniserregend rot.
„HatVale es Ihnen erzählt?"
„Jasper hat mir erzählt, dass der Mann, den Sie aufsuchen wollten, tot war", erwiderte sie zerstreut, denn ihre Sorge galt gerade anderem. Wenn er sich die Sohlen seiner Mokassins in die blutenden Füße gedrückt hatte, würde allerlei Schmutz in die Wunden gelangt sein. Wenn sie seine Füße nicht gründlich reinigte, ehe sie sie verband, käme es zu einer Infektion, so viel war gewiss. Es würde schrecklich wehtun, die Wunden auszuwaschen, war aber das kleinere Übel.
„Wo ist Vale?", fragte er und riss sie aus ihren unerquicklichen Gedanken.
Sie sah auf. „In seinen Gemächern, in der Obhut seines Kammerdieners. Er hat sich fast um Sinn und Verstand getrunken."
Sam nickte schweigend.
Sie legte sich eines der Tücher auf den Schoß und bedeutete ihm, sein linkes Bein anzuheben.
Er hob seinen tropfenden Fuß aus dem Wasser, und sie legte ihn sich so auf ihrem Schoß zurecht, dass sie die Sohle untersuchen konnte. Schlimm sah sie aus - wund, gerötet und mit zahlreichen Schürfwunden doch keineswegs so entsetzlich, wie sie befürchtet hatte. Einige Blasen gab es, die sich geöffnet und geblutet hatten, aber nur eine einzige Schnittwunde. Ihr entging auch nicht, dass es ein recht eleganter Fuß war, was unter den gegebenen Umständen ein wirklich törichter Gedanke war.
Aber seine Füße waren groß und für einen Mann ausgesprochen schlank, mit einem hohen Spann und langen, fast anmutigen Zehen.
„Er hat sich erhängt", murmelte Samuel.
Emeline schaute kurz auf. Er hatte die Augen geschlossen und den Kopf zurückgelehnt. Der flackernde Feuerschein warf dunkle Linien und Schatten auf sein Gesicht, seine Haut schimmerte von getrocknetem Schweiß. Er musste mit seiner Kraft am Ende sein. Ein Wunder, dass er nicht längst vor Erschöpfung eingeschlafen war.
Sie holte einmal tief Luft und wandte sich wieder seinem Fuß zu. „Der Soldat, den Sie und Jasper hatten aufsuchen wollen?"
„Ja. Wir haben nur noch seine Frau angetroffen. Sie hat uns erzählt, wie glücklich sie gewesen sei, dass er unversehrt aus dem Krieg heimgekehrt war, und eine Weile wäre auch alles gut gegangen."
„Und dann?" Sie hatte sich ein weiteres Tuch genommen und es in schmale Streifen gerissen. Einen der Streifen faltete sie zusammen, tunkte ihn in die Salbe und begann seine Wunden auszuwaschen. So ganz zufrieden war sie mit dem Ergebnis nicht. Vielleicht hätte sie aus der Küche noch eine kleine Bürste oder Ähnliches mitnehmen sollen.
Sie hörte ihn seufzen. „Er hat aufgehört zu leben."
Besorgt sah sie auf. Er musste Schmerzen haben, denn sie ging nicht gerade sanft zu Werke, um Schmutz und kleine Steinchen aus den Wunden zu bekommen, aber sein Gesicht war ruhig und gelassen. „Wie meinen Sie das?", fragte sie ihn.
„Craddock ging immer seltener unter Menschen, bis er irgendwann gar nicht mehr das Haus verließ. Seine Arbeit hatte er da längst verloren. Er war Kontorist beim Gemischtwaren-händler des Dorfes gewesen. Bald darauf hörte er dann auf zu reden. Seine Frau sagte, er hätte nur noch am Kamin gesessen und stundenlang wie gebannt ins Feuer gestarrt."
Emeline setzte seinen linken Fuß auf einem sauberen Tuch neben sich ab und bedeutete ihm, ihr den rechten Fuß zu reichen. „Und jetzt der hier."
Wieder hob er den tropfenden Fuß und legte ihn auf ihren Schoß. Sie wollte sich das nicht anhören. Wollte nichts von Soldaten hören, die das Glück hatten, den Krieg heil
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