038 - Verbotene Sehnsucht
speisen?"
„Mir schien, dass er etwas, ähem ..." Der Duke errötete. „Etwas indisponiert ist."
„Unsinn", entgegnete seine Gastgeberin brüsk. „Wenn man indisponiert ist, geht man doch nicht in den Wintergarten. Warum hat er nicht die Bibliothek aufgesucht?"
Des Dukes buschige Brauen schössen angesichts dieser wunderlichen Bemerkung in die Höhe, aber Emeline merkte es kaum. Was machte Jasper im Wintergarten? Und warum war er indisponiert? Vermutlich war er dann schon wieder eine Weile im Haus, aber sie hatte ihn überhaupt nicht zu Gesicht bekommen. Und wichtiger noch: Wo war Samuel?
„Haben Sie auch Mr. Hartley gesehen?", fragte sie Seine Gnaden und unterbrach damit seine Ausführungen, warum ein Gentleman es vorziehen könnte, sich im Wintergarten zu indisponieren und nicht in der Bibliothek.
„Nein, tut mir leid, Lady Emeline."
„Nun, dann bekommen sie eben beide kein Abendessen", sagte Lady Hasselthorpe munter. „Und müssen hungrig zu Bett gehen."
Emeline versuchte ein Lächeln, doch es wollte nicht recht gelingen. Das Essen zog sich noch eine weitere, endlos scheinende Stunde hin, und sie hätte beim besten Willen nicht mehr sagen können, was sie auf die höfliche Konversation ihrer Tischnachbarn erwiderte. Als dann zum Abschluss Käse und Birnen gereicht worden waren, wurde die Tafel endlich aufgehoben. Emeline hielt sich gerade noch so lang auf, wie der Anstand es gebot, ehe sie in Richtung des Wintergartens davoneilte. Sie musste mehrere Korridorfluchten durchmessen, ehe ihre Absätze auf den dunklen Schieferplatten im Vestibül des Wintergartens widerhallten. Eine hübsche Holztür mit Glaseinsätzen schloss
den Raum dicht ab, damit die feuchte Wärme nicht entweichen konnte.
Emeline stieß die Tür auf. „Jasper?"
Nichts war zu hören außer leisem Wasserplätschern. Enerviert schloss sie die Tür hinter sich. „Jasper?"
Irgendwo schepperte es, gefolgt von herzhaftem Fluchen. Jasper, keine Frage. Der Wintergarten war ein langer, schmaler Bau, der sich auf ein von einer Kuppel gekröntes Rondell öffnete. Wände und Decke waren weitestgehend aus Glas. Hier und da standen ein paar Topfpflanzen, wie es sich für einen Wintergarten gehörte, doch im Grunde war es einfach nur ein Prunkbau, der keinem ersichtlichen Zweck diente. Emeline raffte ihre Röcke und folgte dem ebenfalls mit Schieferplatten ausgelegten Weg. Kurz vor dem Rondell, in dem ein Brunnen plätscherte, fand sie hinter einer aus Stein gehauenen Venus Jasper recht derangiert auf einer Bank.
„Da bist du ja", sagte sie.
„Bin ich das?" Er hatte die Augen geschlossen, saß mit bedenklicher Schlagseite da, Haar und Kleider waren wirr. Verwunderlich, dass er sich überhaupt noch einigermaßen aufrecht halten konnte.
Emeline legte ihm die Hand auf die Schulter und schüttelte ihn. „Wo ist Samuel?"
„Hör auf damit. Wird mir ganz schwindelig." Er schlug nach ihrem Arm, verfehlte ihn aber meilenweit, da er die Augen noch immer geschlossen hatte.
Mein Gott! Er musste wirklich sturzbetrunken sein. Emeline runzelte die Stirn.
Gentlemen betranken sich zwar bisweilen, und Jasper hatte schon immer einen Hang zu Spirituosen gehabt, aber tatsächlich betrunken hatte sie ihn noch nie erlebt.
Angeheitert, das wohl. Betrunken, nein. Und schon gar nicht in aller Öffentlichkeit.
Ihre Besorgnis nahm zu. „Jasper! Was ist geschehen? Wo ist Samuel?"
„Er ist tot."
Blankes Entsetzen erfasste Emeline, ehe sie sich sagte, dass das unmöglich sein konnte. Hätte Samuel einen Unfall gehabt, würden sie doch gewiss davon erfahren haben? Jaspers Kopf hing nun vornüber, das Kinn war ihm auf die Brust gesunken.
Emeline kniete zu seinen Füßen nieder und versuchte, ihm ins Gesicht zu schauen.
„Jasper, Liebling, bitte sag mir, was passiert ist."
Unvermittelt schlug er die Augen auf, die so blendend blau und voller Trauer waren, dass Emeline der Atem stockte. „Hat sich umgebracht, der Bursche. Oh, Emmie, wird es denn niemals aufhören?"
Sie konnte nur dunkel ahnen, wovon die Rede war, aber offensichtlich musste im Dorf etwas Schreckliches geschehen sein. „Und Samuel? Wo ist Samuel?"
Jasper holte mit dem Arm weit aus und wäre fast rücklings im Brunnen gelandet.
Emeline fasste ihn um die Taille und hielt ihn fest, doch er schien weder seinen Beinahsturz noch ihre Hilfe zu bemerken. „Irgendwo draußen. Ist gleich verschwunden, kaum dass wir aus dem Sattel waren. Ist laufen gegangen.
Prachtvoller Läufer, dieser Hartley,
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