038 - Verbotene Sehnsucht
großartig. Hast ihn schon mal laufen sehen, Emmie?"
„Nein, habe ich nicht." Wo immer Samuel auch stecken mochte, zumindest lebte er.
Emeline seufzte erleichtert auf. „So, mein Lieber, und dich stecken wir jetzt ins Bett.
In deinem Zustand solltest du dich überhaupt nicht unter Menschen blicken lassen."
„Aber ich bin doch gar nicht unter Menschen." Verwirrung stand Jasper im seltsam gütigen Hundegesicht geschrieben. „Ich bin bei dir."
„Mmmm", machte Emeline. „Noch besser wäre es, du wärst jetzt im Bett." Ohne allzu viel Hoffnung versuchte sie, Jasper hochzuziehen, doch zu ihrer Überraschung erhob er sich ohne allzu große Mühe von allein. Leicht schwankend stand er vor ihr und überragte sie um Haupteslänge. Bei Gott, sie konnte nur hoffen, dass sie allein mit ihm fertig wurde und nicht um Hilfe schicken musste.
„Ganz wie du wünschst", nuschelte Jasper und stützte sich schwer auf ihre Schulter.
„Schade, dass Hartley nicht hier ist. Könnten uns einen lustigen Abend machen."
„Ja, sehr lustig", meinte Emeline etwas außer Atem, als sie sich mit Jasper auf den Weg machte. Er taumelte und lehnte sich an einen Orangenbaum. Krachend brach ein Zweig ab. Oje.
„Hab ich dir schon mal gesagt, was für ein wunderbarer Bursche er ist?"
„Du hattest es mal erwähnt." Sie hatten nun die Tür erreicht, und Emeline fragte sich besorgt, wie sie es bewerkstelligen sollte, die Tür aufzumachen, ohne Jasper loszulassen. Doch er löste das Problem ganz einfach, indem er die Tür selbst aufmachte.
„Er hat mich gerettet", murmelte Jasper draußen auf dem Gang. „Brachte den Rettungstrupp just in dem Augenblick, als ich dachte, die Wilden würden mir gleich die Eier abschneiden. Ups!" Er schlug sich die Hand vor den Mund und sah bekümmert drein. „Hätte ich nicht sagen sollen, Emmie. Nicht vor dir. Weißt du was? Ich glaube, ich bin betrunken."
„Da wäre ich nie drauf gekommen", murmelte Emeline. Und dann: „Ich wusste gar nicht, dass Samuel den Rettungstrupp gebracht hatte."
„Doch. Drei Tage ist er gelaufen", sagte Jasper. „Gelaufen und gelaufen und gelaufen wie ein Verrückter, obwohl er ein Messer zwischen die Rippen bekommen hatte.
Ganz prachtvoller Läufer, der Hartley."
„Das sagtest du bereits." Sie waren nun bei der Treppe angelangt, und Emeline legte den Arm fester um ihn. Wenn er stürzte, würde er sie mit sich reißen. Er war zu schwer für sie - ausgeschlossen, dass sie ihn festhalten könnte. Es wäre ein Wunder, wenn sie unbeschadet nach oben kämen. Und es war ein Wunder, dass niemand sie bislang gesehen hatte. Sie konnte nur hoffen, dass es so blieb.
„Aber danach hat er geblutet", sagte Jasper. „Und wie er geblutet hat ..."
„Was?", fragte Emeline verwirrt, denn sie hatte all ihre Aufmerksamkeit dem diffizilen Aufstieg gewidmet.
„Nach dem ganzen Laufen. Als er zurück im Fort war, waren seine Füße blutige Stumpen."
Emeline sog scharf den Atem ein. Das mochte sie sich gar nicht vorstellen.
„Wie soll man einem Mann dafür danken?", fragte Jasper. „Ist gerannt, bis er Blasen an den Füßen hatte. Gerannt, bis die Blasen bluteten. Und immer weitergerannt."
„Mein Gott", flüsterte Emeline. Das hatte sie nicht gewusst. Mittlerweile waren sie bei Jaspers Zimmer angekommen. Es schickte sich nicht, dass sie ihn hineinbegleitete, aber sie konnte ihn ja schlecht hier auf dem Flur sich selbst überlassen. Und schließlich war es ja nur Jasper. Jasper war fast wie ein Bruder für sie.
Emeline streckte die Hand nach dem Türknauf aus, doch weitere Verlegenheiten blieben ihr erspart, als die Tür sich auftat und Pynch, Jaspers stämmiger Kammerdiener, ihr mit regloser Miene gegenüberstand. „Kann ich Ihnen behilflich sein, Mylady?"
„Oh ja, vielen Dank, Pynch", erwiderte Emeline erleichtert und händigte ihm ihren indisponierten Verlobten aus. „Könnten Sie sich wohl um ihn kümmern?"
„Gewiss, Mylady." Hätte Pynch sich eine Regung anmerken lassen, so wäre es wohl Entrüstung über ihre Frage gewesen, aber seine Miene gab nichts preis.
„Danke." Es war geradezu beschämend, wie froh Emeline darüber war, Jasper Pynchs Fürsorge überlassen zu können. Sie bedachte den Kammerdiener mit einem Lächeln und eilte davon.
Sie musste Samuel finden.
Die Nacht brach herein. Der Himmel hatte jenen schweren bleigrauen Ton, der das Schwinden des letzten Tageslichts ankündigte.
Und Sam rannte noch immer.
Er rannte schon seit Stunden. So lange, dass er
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