0380 - Ich und der Poltergeist
Sir?«
Suko sprach den Namen langsam aus und ließ, ebenso wie ich, den Butler nicht aus den Augen. »Piu Hang!«
George zuckte zusammen. Er hatte sich zwar noch kontrollieren wollen, so ganz gelang es ihm nicht, und er kniff für einen winzigen Moment die Augen zu.
»Sie wissen Bescheid!« stellte ich fest.
»Ja, nein… ich …« Er geriet aus der Fassung und wußte nicht, was er sagen sollte. Dabei verdrehte er die Augen, und in seinem langen Pferdegesicht zuckten die Muskeln.
»Was denn nun?« fragte ich.
George senkte seinen Kopf nach vorn. Er machte einen genickten Eindruck.
Suko und ich lächelten uns an. Wir hatten also doch den richtigen Riecher gehabt. Beim Eintreten waren wir etwas unfair gewesen.
Jetzt blieben wir fair und warteten ab, was uns der Butler zu sagen hatte. Erpreßte noch einmal seine langen Hände gegen die Wangen, stöhnte richtig durch und setzte sich wieder gerade hin, um sich sofort für sein Benehmen zu entschuldigen.
»Das brauchen Sie nicht«, meinte Suko. »Es war menschlich. Wir haben für so etwas Verständnis.«
»Ja, natürlich. Ich war auch nur geschockt, weil Sie diesen Namen erwähnten.«
»Er ist also schlimm?«
Der Butler nickte Suko im Zeitlupentempo zu. »Sogar noch schlimmer, Sir. Dieser Name lastet wie ein gewaltiger Fluch über uns.«
»Haben Sie damit zu tun?« fragte ich.
»Nein, Sir, nicht ich. Andere sind davon betroffen.«
»Die Mitglieder des Clubs?«
»Ja, so ist es. Sie fürchten ihn, denn sie haben alle in der Vergangenheit eine schwere Schuld auf sich geladen.«
»Auch Mr. Goldwyn?«
»Er ebenfalls, denn er gehörte in jungen Jahren zu ihnen und hat in Indien gedient.«
»Wissen Sie denn mehr darüber?«
»Es wurde mir erzählt, doch ich mußte mich verpflichten, darüber zu schweigen.«
»Davon sind Sie jetzt entbunden, George. Unter Umständen geht es um Leben und Tod.«
»Ist es so schlimm?«
»Sonst wären wir nicht hier.«
Er nickte wieder so sehr langsam und fing dann an zu erzählen.
»Sie kennen unsere Geschichte. Sie wissen, daß wir Indien besetzt und zur Kolonie erklärt hatten?«
»Das ist uns bekannt.«
»Die Mitglieder dieses Clubs gehören oder gehörten zu den alten Kolonialoffizieren. Sie sorgten in Indien für Ruhe, wie sie immer sagten, und scheuten auch nicht davor zurück, die Gesetze zu übertreten.«
»Es waren doch die eigenen, die der Krone«, warf ich ein.
»Die meinte ich nicht. Die Bevölkerung lebte nach den strengen Regeln ihrer Religion. Vieles war ihnen heilig. Sie glaubten an Götter und Dämonen. Deshalb bauten sie auch Tempel, die oft genug mit sehr wertvollen Dingen bestückt waren.«
»Gold?«
»Auch. Desgleichen Kunstgegenstände, und die wollten die Offiziere unbedingt bekommen. Deshalb überfielen sie und einige Söldner einen großen Tempel, der dem ostasiatischen Dämonengott Piu Hang geweiht war. Der Angriff war verraten worden. Hunderte von Indern erwarteten die Engländer. Es kam zu einer Schlacht. Sie wurde von den Europäern gewonnen, ihre Waffen waren einfach besser. Durch das Blut der Gegner wateten sie in den Tempel, um ihn auszurauben. Sie fanden nichts mehr. Die Inder hatten zuvor heimlich alles weggeschafft. Bis auf eines. Das war die Statue des Piu Hang. Sie war sehr groß und aus einem grünen Marmorstein gehauen, der angeblich einmal gelebt haben soll. Unsere Landsleute waren so in Rage, daß sie nicht mehr an sich halten konnten und den Tempel zerstörten. Für diese Tat wurden die Offiziere verflucht. Sie sollten irgendwann einmal Kontakt mit dem Geist des Götzen Piu Hang bekommen.«
»Geschah das?« fragte ich.
»Ja, Sir. Aber erst viel später. Die Herren hatten den Überfall längst vergessen. Indien ging für die Krone verloren, es blieb nur mehr eine Erinnerung, die allmählich in den Hirnen der Männer verblaßte. Bis zu dem Tag, als Richard Emmerson Goldwyn kam und eine kleine Statue mitbrachte, die er im Club zeigte. Er hatte sie auf einer seiner Reisen erworben. Da war alles wieder lebendig. Ich erinnere mich noch genau. Es herrschte ein großes Spektakel. Die Gentlemen waren furchtbar durcheinander. Sie zogen sich zurück, berieten sich und kamen zu dem Entschluß, daß man die Statue nicht behalten sollte. Nicht daß sie vor dem Fluch Angst gehabt hätten, sie wollten wohl nicht mehr an ihre frevelhaften Taten erinnert werden. Mr. Goldwyn versprach, die Statue zu verschenken. Er hat sie dann seiner Frau gegeben, soviel ich weiß.«
»Mehr wissen Sie
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