0388 - Der Tote mit meinem Gesicht
durchdringen und tröstete mich damit, daß die Mörder genauso wenig sehen konnten.
Vor mir dehnte sich ein flacher Hof, den ich mehr ahnte, als daß ich ihn sah. Der Boden schien aus festgestampftem Lehm zu bestehen. Das konnte gefährlich sein, falls ein paar Bröckchen herumlagen und unter meinen Füßen zerknirschten.
Linkerhand war die nächste Hausecke greifbar nahe. Hinter ihr lag die Hausseite, auf der sich das Badezimmerfenster befand. Dort mußten sich die beiden Mörder befinden.
Ich packte die Automatic fester. Dann schlich ich an der Wand entlang. Bevor ich einen Fuß auf den Boden setzte, prüfte ich zuvor mit der Schuhspitze, ob nichts im Wege lag.
Es war neblig geworden. Die Luft hatte sich gesättigt mit unzähligen winzigen Wassertröpfchen, die einen Kristallisationspunkt suchten und sich schon nach wenigen Augenblicken wie eine Tauschicht auf meinem Gesicht abschlugen. Mein leichter Sommeranzug fühlte sich bereits recht feucht an. Mir schien, als sauge er die Luftfeuchtigkeit wie ein Schwamm in sich auf.
Jetzt hatte ich die Ecke erreicht, blieb stehen, spitzte die Ohren und hielt den Atem zurück.
Vielleicht stand einer der beiden auf der anderen Seite, erwartete mich — mit dem Finger am Abzug.
Wie im Zeitlupentempo schob ich den Kopf vor. Mit dem rechten Auge blickte ich um die Ecke des Hauses. Ich sah nicht viel, doch immerhin genug, um festzustellen, daß sich niemand vor mir aufgebaut hatte.
Also mußten die beiden Burschen ein Stück weiter vorn lauern. Oder hatten sie woanders Posten bezogen?
Es gab viele Möglichkeiten. Ich mußte versuchen, es festzustellen. Daß leine Chancen dabei sehr gering waren, wußte ich. Die Mörder waren zu zweit, konnten mich in die Zange nehmen. Außerdem hatten sie sich bereits postiert, während ich wie blind durch die Finsternis tappte. Dennoch konnte ich nicht untätig im Haus bleiben. Es war meine Pflicht, die Mörder abzulenken, daran zu hindern, in das Haus einzudringen. Ich mußte Walser und dessen Frau aus diesem grausamen Spiel heraushalten. Wenn ich Pech haben sollte und die Mörder mich hier draußen erwischten, dann würden sie meines Erachtens schnell verschwinden. Die Walsers waren keine gefährlichen Zeugen für sie. Das Ehepaar konnte weder Tepper noch Vazac identifizieren. Denn weder der Mann noch die Frau hatten einen der Mörder gesehen.
Ich schlich um die Ecke, blieb mit dem Rücken an der Hauswand und schob mich langsam in Richtung Badezimmerfenster.
Als ich mich drei oder vier Schritte von der Ecke entfernt hatte, geschah es, Es war eine einfache Falle. Ich hätte mich ohrfeigen können, daß ich in sie hineingetappt war. Es lag nur daran, daß ich den Handscheinwerfer vergessen hatte.
Ich wurde plötzlich in grelle Helligkeit getaucht. Der Schein kam von rechts. Aus einer Entfernung von etwa zehn Schritt war der Handscheinwerfer voll auf mich gerichtet, nagelte mich gleichsam an der Hauswand fest und leuchtete rechts und links von mir noch ein breites Stück aus. Deshalb wäre der Versuch, mit einem Sprung aus dem Lichtkegel herauszutauchen, völlig sinnlos gewesen. Bis ich den Rand des Lichtfeldes erreicht hätte, würde ich mehr als eine Kugel eingefangen haben.
Ich blieb also stehen und verengte die Augen zu Schlitzen.
»Zwei Kanonen sind auf dich gerichtet, Cassidy«, sagte Tepper gemütlich. »Keine falsche Bewegung! Laß die Pistole fallen!«
Ich öffnete die Hand. Die 45er fiel auf den Lehmboden. Es entstand ein schwaches, dumpfes Geräusch.
»Geh langsam an der Hauswand entlang — bis zur Ecke!«
Ich marschierte los.
Der Lichtkegel kam im gleichen Tempo mit und behielt mich genau in seinem Zentrum. Ich sah jetzt die milchigen Nebelschwaden, die wie lange Schleier über den Hof gezogen wurden. Einen Augenblick dachte ich an Walser. Ober er versuchen würde, auf die Lichtquelle zu schießen. Er hatte keine Chance zu treffen. Aber wenn er einen Versuch machte, sich einzumischen, konnte es ihm und seiner Frau teuer zu stehen kommen.
»Walser«, rief ich schnell. »Unternehmen Sie nichts! Halten Sie sich raus!« Aus dem Haus kam keine Antwort. Aber Tepper meinte: »Sehr klug und menschenfreundlich von Ihnen, Cassidy. Denken Sie daran: Falls einer aus dem Haus uns Schwierigkeiten macht, verpasse ich Ihnen sofort eine Kugel.« Jetzt hatte ich die nächste Hausecke beinahe erreicht. Am Badezimmerfenster war ich bereits vorbei.
»Stehenbleiben!« befahl der Riese. Ich verhielt mitten im Schritt. Tepper dagegen
Weitere Kostenlose Bücher