0389 - Der Ghoul und seine Geishas
schwang wie ein leises Echo in Shaos Kopf nach, dann war die Stimme verstummt.
Sie aber wußte Bescheid. Wieder einmal konnte sie klar und nüchtern denken. Es war ihr bekannt geworden, daß die Entführung kein Zufall gewesen war.
Da steckte mehr dahinter. Man hatte es einzig allein auf sie und ihren Kontakt zu Amaterasu abgesehen, weil ihre Gegner genau wußten, daß Shao am Ende der langen Ahnenkette stand.
Hüte dich vor falschen Freunden, hatte ihr die Sonnengöttin geraten. Nur – wer war falsch, und wer bezeichnete sich als Freund?
Shao wußte dies nicht. Sie würde es erst später herausfinden, und sie mußte sich zunächst den Tatsachen stellen.
Noch immer hüllte diese tiefe Dunkelheit sie ein. Shao kam sich wie gefangen in einer pechschwarzen Säule vor, die von den sphärenhaften Musikklängen erfüllt war.
Aber die Finsternis besaß Löcher!
Urplötzlich hereingerissen, ausgefüllt mit einem Schein, der dieser Finsternis genau entgegenstand.
Aus Schwarz wurde nicht Weiß, sondern Gold!
Klares, kaltes Gold. Ein Metall, das fast alle Menschen reizte. Shao spürte diese goldene Kälte fast wie eine körperliche Attacke.
Sie fürchtete sich.
Ein Schauder rann über ihren Kücken. Im Nacken spürte sie kleine Schweißperlen, auch der Rücken war feucht, und sie sah sich umringt von vier goldenen Sonnen.
Strahlenmasken mit einem Kranz umgeben, dessen einzelne Teile an ihren Enden spitz zusammenliefen und wie kleine, erstarrte Lanzenwirkten. Vier strahlende, kalte Sonnen, auf die Shao starrte, ohne geblendet zu werden. Sie erkannte in den Kreisen die Gesichter.
Kleine, schrägstehende Augen, eine angedeutete Nase, ein leicht gekrümmter Mund, dessen Winkel nach unten zeigten und somit einen pessimistischen, leicht bösen Ausdruck bekommen hatten.
Nein, diese Masken waren nicht positiv zu sehen. Dahinter steckte jemand, der etwas Böses wollte.
Sie schwebten vor ihr.
Shao erkannte, daß sie sich in ihrer Kopfhöhe befanden. Wer sie trug oder ob sie einfach nur an einem für sie nicht sichtbaren Faden von der Decke hingen, war für sie nicht zu sehen.
Jedenfalls sahen sie so aus, als würden sie in der Luft stehen und auf sie warten.
Ein Zurück gab es für Shao in dieser Dunkelheit nicht, allein den Weg nach vorn.
Genau den wollte sie gehen. Dieser Befremdung entgegenlaufen, bevor sie es tat.
Dazu sollte es nicht kommen.
Die Masken waren es, die plötzlich die Initiative ergriffen. Sie blieben nicht mehr in ihrer Reihe, sondern setzten sich zur gleichen Zeit in Bewegung.
Alle vier schwangen auf Shao zu!
Es glich schon einem Alptraum, wie sie geräuschlos näherkamen.
Die Chinesin hob beide Arme, um sie abzuwehren. Das brauchte sie aber nicht mehr, weil die vier Masken sich auf einmal teilten, um ihr »Opfer« in die Zange zu nehmen.
Und es wurde hell…
Dieses Vertreiben der Finsternis nahm Shao so in Anspruch, daß die Masken für sie uninteressant geworden waren. Die Helligkeit begannüber ihr, wo vielleicht in für sie nicht sichtbarer Ferne eine Decke schwebte. Von dort fiel das Licht wie ein goldener Regen, als sei jeder Tropfen der Sonnengöttin Amaterasu geweiht.
Der Regen fiel in langen Strahlen nach unten, die wiederum aus winzigen Partikeln bestanden, so daß sie flimmerten und flirrten, für Helligkeit sorgten, die teilweise nach unten fiel, wo sie sich ausbreitete, aber noch nicht die Masken oder den Boden erreicht hatte.
Das geschah später.
Das goldene Licht umflutete sie. Aus zahlreichen Quellen über ihr drang es hervor, umschmeichelte jetzt nicht nur ihre Gestalt, auch die der Masken, und Shao erkannte, daß es sich dabei nicht um in der Luft schwebende Gegenstände handelte, sondern um Frauen, die Masken aufgesetzt hatten.
Blau, Gelb, Rot und Grün herrschten als Grundfarben bei ihren Gewändern vor. Farbtupfer waren wie kleine Inseln auf den Stoff gedruckt worden.
Jede dieser vier Frauen hielt einen Arm angewinkelt. Ihre Gesichter waren hinter den Masken nicht zu erkennen.
Auch jetzt sah Shao nur Körper und Masken, aber sie wußte, mit wem sie es zu tun hatte.
Mit Geishas!
Shao schluckte. Vor Erstaunen war ihr der Atem weggeblieben.
Mit allem hätte sie gerechnet, damit nicht. Daß ausgerechnet Geishas zu denen gehörten, die der Sonnengöttin Amaterasu dienten, das hätte sie nicht erwartet. Sie erkannte auch, daß sie sich in einer relativ großen Halle mit seltsam schimmernden, fast durchsichtigen Wänden befand, als wären diese aus Pergament gebaut
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