0389 - Der Ghoul und seine Geishas
Frauenstimme meldete sich und fragte nach meinen Wünschen.
»Ist Mr. Tawashi zu sprechen?« erkundigte ich mich freundlich.
»Leider nein. Er unterrichtet.«
»Aha und was?«
»Es ist am besten, wenn Sie am Abend noch einmal anrufen. Die Schule dauert sehr lange. Zudem ist sie die einzige für Geishas hier in London. Und wer Geisha sein will, muß Disziplin besitzen.«
Ich ließ mir meine Überraschung nicht anmerken und sagte mit völlig normal klingender Stimme: »Das weiß ich alles. Ich hatte gedacht, daß eventuell auch europäische Mädchen die Schule besuchen können. Wäre das möglich?«
»Sorry, Sir, ich weiß von einigen Ausnahmen, die Mr. Tawashi gemacht hat. Aber die Regel ist es nicht. Am besten sprechen Sie mit ihm persönlich. Wie gesagt, gegen Abend erreichen Sie ihn.«
»Danke sehr.«
Sir James schaute mich fragend an, als ich den Hörer auflegte.
»Eine Schule für Geishas? Stimmt das wirklich?«
»Ja.«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist ein Ding. Mitten in London.«
Ich mußte über die Ausdrucksweise meines Chefs lächeln. Er hatte ja recht. Mitten in London eine Geishaschule einzurichten, war bisher auch für mich absolut neu.
»Wie ich Sie kenne, werden Sie sich die Schule sicherlich anschauen?« fragte Sir James.
»Und wie.«
»Glauben Sie denn, daß Sie Shao dort finden?«
»Es wäre zumindest eine Möglichkeit. Wer zur Geisha ausgebildet wird, begibt sich voll und ganz in die Hand seines Lehrers oder die seiner Lehrer. Der bricht mit der Familie. Die Mädchen kommen wohl nie mehr zurück. Sie lernen ja dort und die Auswahlkriterien sind sehr streng. Als Geisha muß man vieles können.«
»Vor allen Dingen die Männer unterhalten«, meldete sich Glenda mit spitzer Stimme.
»Ja, das stimmt.«
Sir James beendete unsere Diskussion. »Fahren Sie los, John, und sehen Sie sich die Schule einmal an. Wo liegt sie eigentlich?«
»Jenseits der Themse.«
»Dann viel Glück.«
Glenda hielt mich an der Tür auf. »Vielleicht könnte ich mitgehen«, schlug sie vor.
Ich zog ein bedenkliches Gesicht. »Und dann?«
»Du könntest mich als Schülerin anmelden.« Sie lächelte kokett.
»Oder traust du mir nicht zu, daß ich die Männer unterhalten kann?«
Sir James räusperte sich. Glenda wurde rot. Sie hatte die Anwesenheit unseres Chefs ganz vergessen. Deshalb sprach der Superintendent auch ein Machtwort.
»Sie bleiben hier, Glenda, John wird allein gehen und sich die Sache anschauen.«
»Natürlich, Sir, es war auch nur so eine Idee.«
Ich grinste Glenda an, schob mich an ihr vorbei und verschwand wenig später im Lift.
Auf diese Geisha-Schule war ich wirklich gespannt…
***
Shao wünschte sich mit aller Macht, einen Traum zu erleben. Leider war es keiner. Sie lag da, konnte sich so gut wie nicht bewegen und spürte genau, wie ihr der Leichengeruch den Atem raubte. Es war ein furchtbarer Schock für sie gewesen. Zuerst das Geräusch, dann der Gestank und jetzt das Wissen, nichts unternehmen zu können.
Wer lauerte da?
Ein Zombie, eine normale Leiche – oder, was noch schlimmer sein würde, ein Ghoul?
Sie wußte es nicht, denn die Dunkelheit war absolut. Nichts konnte sie erkennen, nur hören, und sie vernahm Geräusche, die sie zu Beginn nicht einordnen konnte.
Ein Platschen oder sanftes Klatschen von Wellen, die gegen irgend etwas anliefen, gestoppt und gebrochen wurden. Dabei vernahm sie nicht das Geräusch von fließendem Wasser, sondern nur dieses weiche Klatschen, das sie nicht mochte.
Shao dachte an einen Ghoul.
Auch dieser widerliche Dämon gab Laute von sich, die sich ähnlich anhörten. Nur schmatzte und gurgelte er in einer wilden Vorfreude auf das, was er brauchte.
Ghouls waren die widerlichsten unter den Dämonen. Sie ernährten sich von Leichen, und sie waren gefräßig wie Monster.
Das war Shao bekannt. Sie hatte schon Ghoulopfer gesehen und wollte selbst keines werden.
Allmählich wuchs ihre Angst. Sie glaubte fest daran, beobachtet zu werden. Und sie spürte geradezu, wie sich der Unsichtbare an ihren seelischen Qualen weidete. Vielleicht war er sensitiv veranlagt, so daß er ihre Angstströme fühlen und messen konnte.
Wenn sie sich nur hätte bewegen können.
Und das klappte plötzlich.
Zuerst wollte sie es selbst nicht glauben, daß es ihr gelang, das rechte Bein anzuwinkeln.
Shao startete noch in der gleichen Sekunde den zweiten Versuch und stellte fest, daß die Wirkung des Gifts tatsächlich nachgelassen hatte. Sie konnte sich wieder
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