039 - Der Griff aus dem Nichts
Sie legte ihre Arme um seinen Nacken, schloß die Augen und zog ihn zu sich aufs Bett. Sie hätte die Augen am liebsten immer geschlossen, um nicht in das Gesicht ihres Partners blicken zu müssen. Aber das gestattete das Drehbuch nicht.
„Clarissa, sage mir, wie verdiene ich deine Liebe? Ausgerechnet ich!“
Wenn man nur seine Stimme hörte, die angenehm weich, männlich und wohltönend klang, konnte man sein Aussehen vergessen. Aber Dorothy durfte die Augen nicht geschlossen halten. Sie mußte sie wieder öffnen.
Sie sah zu ihrem Filmgeliebten auf, und ihr Gesicht spiegelte dabei den seligen Ausdruck, den das Drehbuch von ihr verlangte. Doch plötzlich verzerrten sich ihre Züge. Sie blickte an Roul Schwartz vorbei, hinauf zu dem Gestänge über den Kulissen. Dort bewegte sich etwas, kletterte mit affenartiger Behendigkeit in den Verstrebungen umher. Es war der Riesenfötus.
Dorothy schrie.
Roul Schwartz wich entsetzt zurück und flüchtete aus der Schlafzimmerkulisse.
Dorothys Schrei war in ein Röcheln übergegangen. Dann verstummte auch dieser Laut, und sie saß nur mit aufgerissenem Mund da und deutete mit zitternder Hand über sich. Als die anderen in die
Richtung blickten, war in dem Gestänge über ihrem Bett nichts mehr zu sehen.
Als Dorian das Aufnahmestudio betrat, gellte ein markerschütternder Schrei durch die Halle. Gleich darauf entstand zwischen den Kulissen ein Tumult. Er sah Pietrucci, der lautstark und temperamentvoll gestikulierend seinem Zorn Luft machte. Jeff Parker kam hinzu und redete auf irgendjemand ein, der von zwei Dutzend Leuten umgeben war. Dann bildete sich in der Menschentraube eine Gasse, und Dorothy Malone, einen Morgenmantel um die Schulter gehängt, wurde von zwei Script-Girls zu ihrer Garderobe begleitet. Pietrucci schimpfte hinter ihr her. Als sie aus seiner Reichweite war, wandte sich der Regisseur an Jeff Parker. „Ich lasse mir das nicht mehr länger bieten, Mr.
Parker. Ich kann mit dieser Person nicht arbeiten. Sie zerstört
mir jede Szene, nur um Roul hinauszuekeln. Ja, wenn wir ihr Dean Martin oder Cary Grant als Roland servieren würden, dann würde sie dahinschmelzen. Aber nicht bei mir! Entweder Sie werfen Dorothy aus dem Vertrag, oder Sie müssen sich einen anderen Regisseur suchen.“
„Regen Sie sich wieder ab, Luigi“, sagte Jeff beschwichtigend.
Er versprach ihm, daß er sich noch einmal eingehend mit Dorothy unterhalten würde, und ließ die Aufnahmen auf den nächsten Tag verschieben, damit sich die Gemüter beruhigen konnten.
Pietrucci wandte sich schnaubend ab. Er wurde von Roul Schwartz abgelöst, der doch einen zerknirschten Eindruck machte.
„Ich fühle mich für Mrs. Malones Nervenzusammenbruch verantwortlich“, sagte der kleine Mann mit dem zu großen Kopf und dem verrunzelten Puppengesicht. „Sie scheint sich nicht überwinden zu können, mit mir zu arbeiten. Ich verstehe das nicht. Ich bin schon seit dreißig Jahren im Showgeschäft, aber ich bin noch nie auf solche Ablehnung gestoßen. Ich kann Mrs. Malones Verhalten nicht mehr länger ertragen. Auch ich habe meinen Stolz.“
„Ich werde schon dafür sorgen, daß Sie Ihnen mehr Achtung entgegenbringt, Roul“, sagte Jeff erschöpft.
Er blickte auf, und jetzt erst entdeckte er Dorian.
„Dorian!“ rief er überrascht aus.
Auf seinem Gesicht zeichnete sich Besorgnis ab, als er sah, in welchem Zustand sich Dorian befand. „Wie siehst du denn aus? Was ist passiert?“
„Ich bin zum Carmelita-Sanatorium hinausgefahren“, sagte Dorian. „Auf dem Rückweg kam es zu einem Unfall. Rudolpho ist mitsamt dem Wagen in eine Schlucht gestürzt. Ich konnte im letzten Augenblick abspringen.“
Jeff kam zu ihm und drängte ihn zu dem Lager, auf dem Dorothy kurz zuvor die Bettszene gedreht hatte. Als Jeff sah, daß Roul Schwartz immer noch unschlüssig dastand, sagte er zu dem Gnom:
„Wir unterhalten uns morgen weiter, Roul.“ Und zu den Beleuchtern rief er hinauf: „Ihr könnt für heute Schluß machen, Jungs.“ Dann wandte er sich wieder Dorian zu und fragte: „Wie ist es zu dem Unfall gekommen? Hast du schon Meldung darüber erstattet?“
„Noch nicht. Ich hatte keine Gelegenheit dazu“, antwortete Dorian. „Außerdem wollte ich zuerst mit dir sprechen.“
„Das war klug, Junge.“ Jeff klopfte ihm auf eine Schulter. „Ich werde meinem Anwalt die Sache übergeben, und Carlion wird dich vernehmungsunfähig schreiben. Daran dürfte sogar etwas Wahres sein. Du siehst ziemlich
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