039 - Wolfsnacht
den er
»Wanderstab« nannte, aber mir konnte er nichts vormachen, ich hatte ihn diesen Wanderstab schon gebrauchen sehen.
Er sah mich stets gern im Pfarrhaus, und ich hätte ihn viel öfter besucht, wen es meine Zeit erlaubt hätte.
»Tony«, sagte er und umarmte mich überschwenglich. »Was führt dich zu mir, mein Sohn?«
»Ich brauche mal wieder etwas von Ihnen, Pater.«
»Es gefällt mir, wenn ich gebraucht werde«, sagte der Priester.
»Soll ich dich im Kampf gegen das Böse unterstützen?«
»Das würde Ihnen Spaß machen, wie?« sagte ich grinsend.
»Der Mensch muß aktiv bleiben, sonst setzt er Rost an.«
»Sie dürfen mich diesmal nur indirekt in meinem Kampf unterstützen.«
»Das heißt, es gibt mal wieder Silberkugeln zu weihen.«
»Daneben, Pater. Diesmal handelt es sich um silberne Wurfsterne.«
Ich zeigte sie ihm, legte sie auf den wuchtigen Tisch. Dabei fiel ihm auf, daß ich meinen magischen Ring nicht trug. Er fragte mich danach, und ich erklärte ihm, daß man mir den Ring geklaut hatte.
»Eine unangenehme Sache«, meinte Pater Severin und rümpfte die Nase.
»Wenn man bestohlen wird, ist das immer unangenehm.«
»Aber der Ring war eine Art Verstärker.«
»Richtig, er verstärkte das Gute in mir um ein Vielfaches.«
»Wenn ihn nun jemand trägt, dessen Kern böse ist…«
»Wird der Ring das Böse verstärken«, sagte ich.
»Wurde alles unternommen, um den Dieb zu finden?«
»Tucker Peckinpah schöpfte alle Möglichkeiten aus. Kein Erfolg. Jedenfalls bis jetzt nicht.«
»Da kommen mir die silbernen Wurfsterne natürlich sehr gelegen. Woher hast du sie?«
»Von einem befreundeten Parapsychologen.«
»Warum sagst du nicht gleich, du hast sie von Lance Selby?«
»Weil ich in diesem Fall die Unwahrheit sagen würde. Es gibt schließlich auch noch andere Parapsychologen. Zum Beispiel Bernard Hale.«
»Ach ja, ich erinnere mich, du hast mir mal von ihm erzählt… Als vorhin Lances Name fiel, kam mir vor, als würdest du zusammenzucken, mein Sohn. Du siehst aus, als hättest du Sorgen. Möchtest du nicht mit mir darüber reden? Haben die Sorgen mit Lance Selby zu tun?«
»Ihnen kann man nichts verheimlichen, was?« sagte ich und lächelte schief.
»Schwer«, erwiderte der Priester schmunzelnd. »Sehr schwer. Also was bedrückt dich? Sag es mir, du weißt, daß ich nur ein riesiges Laster habe, und das ist die Neugier. Der Herr wird es mir verzeihen.«
Ich berichtete ihm, welches Schicksal meinen Freund ereilt hatte, und er fragte mich vorwurfsvoll, warum ich nicht sofort zu ihm gekommen wäre.
»Sie können nichts für Lance tun.«
»Ich kann nichts für ihn tun?« fragte Pater Severin mit erhobener Stimme. »Mein Sohn, ich kann immerhin für ihn beten, ist das nichts?«
»So habe ich das nicht gemeint. Ich nahm an, Sie dächten an einen Exorzismus. Lance hat nicht den Teufel im Leib, den Sie ihm vielleicht hätten austreiben können. Er hat Professor Kulls vergiftetes Blut in seinen Adern, einen vollsynthetischen Lebenssaft.«
»Der Herr wird ihm beistehen«, sagte Pater Severin überzeugt.
»Das hoffe ich«, erwiderte ich.
Der Priester nahm die Wurfsterne und begab sich mit mir in die Sakristei, wo sich ein kleines Wasserbecken befand.
»Hat Agassmea wieder von sich hören lassen?« fragte er, während er sich auf die Weihe vorbereitete.
»Zum Glück nicht. Ich wäre froh, wenn sie in eine andere Dimension abgerauscht wäre und dort für immer bliebe, aber das kleine Männchen in meinem Ohr sagt mir, daß ich sie irgendwann wiedersehe.«
»Solltest du dann Unterstützung brauchen, weißt du, wo du mich findest, mein Sohn«, sagte Pater Severin mit grimmiger Miene. So war er. Niemals wich er einem Kampf aus, suchte geradezu die Konfrontation und setzte sich bedingungslos für das Gute ein. Das war mit ein Grund, weshalb mir dieser ungewöhnlichste aller Priester so sehr ans Herz gewachsen war.
Beim Weihen der silbernen Wurfsterne ging er sehr sorgfältig vor, dann gab er sie mir wieder.
»Ich hoffe, sie werden dir gute Dienste leisten«, sagte er.
Ich nickte. »Ja, Pater, das hoffe ich auch.«
***
1956
Der Wolf war verletzt. An der Schulter und an der Hüfte hatte ihn eine geweihte Silberkugel gestreift. Es waren an und für sich geringfügige Verletzungen, keinesfalls tödlich, aber das geweihte Silber rief fast unerträgliche Schmerzen in dem Untier hervor.
Hechelnd hetzte das Monster durch schmale, finstere Gassen.
Es war großes Glück für den Werwolf
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