039 - Wolfsnacht
dich einhüllen in ihren großen schwarzen Mantel, wenn du dieses Hospital verläßt, und du wirst dich großartig fühlen. Du wirst im fahlen Licht des Mondes baden, seinen trüben Schein trinken und zusätzliche Kräfte erhalten. Stärker als jeder Mensch wirst du sein. Schon in dieser Nacht. Und du wirst ruhelos umherlaufen, wirst erst wissen, was du gesucht hast, wenn du es gefunden hast…
Hunger… Ich habe Hunger … Und Durst …
Es hatte den Anschein, als hätte Schwester Joan das gehört, denn sie öffnete in diesem Augenblick die Tür und betrat mit einem Tablett das Krankenzimmer.
Sie war ein nettes, freundliches Mädchen, liebte ihren Beruf und kam mit allen Patienten gut aus.
»Sooo«, sagte sie lächelnd. »Abendessen gibt’s, Mr. Stanwyck. Hoffentlich haben wir auch den erwünschten Appetit.«
Leif Stanwyck warf einen Blick auf das, was sich auf dem Tablett befand, und er wußte, daß es nicht das war, was er brauchte.
Fleisch ja, aber nicht gekocht…
Die Krankenschwester stellte das Tablett neben dem Bett ab und kurbelte das Kopfteil hoch, damit der Patient in Schräglage kam. Sie kam Stanwyck dabei sehr nahe, und er spürte, wie sein Herz aufgeregt zu hämmern begann.
Er roch den zarten Duft, den das junge Mädchen verströmte und leckte sich unwillkürlich die Lippen.
Hunger… Hunger … Aber ich will nicht das, was sich auf diesem Tablett befindet. Ich will … Schwester Joan!
Als er sich dessen klar war, zuckte er erschrocken zusammen. So deutlich hatte er es vor wenigen Augenblicken noch nicht gewußt.
Er gierte nach dem Fleisch dieses Mädchens!
Sie beugte sich arglos über ihn und flößte ihm mit einem Löffel die Suppe ein. »Schmeckt das nicht wunderbar?« fragte sie. »Unser Hospital ist bekannt für seine gute Küche. Wenn Sie alles aufessen, wird es Ihnen bald wieder gutgehen.«
Es geht mir bereits gut! dachte Leif Stanwyck. Er mußte sich zwingen, die Suppe zu schlucken. Viel lieber hätte er Blut getrunken. Das Blut dieses Mädchens.
Ihr kam vor, daß sein linker Arm heute stärker behaart war als gestern, aber sie sagte sich, daß sie sich das wohl einbildete. Auch hatte es den Anschein, als wäre seine Hand größer geworden, auf jeden Fall aber schienen die Fingernägel länger geworden zu sein.
Lange, scharfe, spitz zulaufende Krallen waren es, und Joan Crane nahm sich vor, sie dem Patienten entweder noch heute oder gleich morgen früh abzuschneiden – wie sie eben Zeit dafür hatte.
Nach der Suppe kam das Schweinefleisch. Schwester Joan schnitt es in kleine, mundgerechte Stücke, piekte diese mit der Gabel auf und fütterte damit den dick bandagierten Patienten.
Er riß ihr das Fleisch mit den Zähnen von der Gabel, knurrte, schmatzte und aß mit einer Gier, die dem Mädchen nicht gefiel.
Mein Gott, dachte Schwester Joan, er ißt das Fleisch wie ein Tier…
Beinahe widerlich… Ich habe noch keinen Menschen mit einer solchen Gier schlingen sehen.
Das Fleisch war tot, gekocht, leblos, nicht mehr von Leben und warmem Blut durchpulst, aber es war dennoch Fleisch, deshalb würgte es Leif Stanwyck hinunter, ohne es viel zu kauen.
Die Haare sprossen auf seinem Arm noch dichter, auch länger wurden sie. Der Mann ballte die Hand, die mehr und mehr einer Pranke ähnelte, zur Faust. Es fiel ihm schwer, sich zu beherrschen.
Ein unbändiger, schrecklicher Trieb erwachte in ihm. Er wußte, daß er ihn nicht mehr unterdrücken konnte, wenn es draußen dunkel geworden war. Jetzt vermochte er dagegen noch anzukämpfen.
Aber bald… bald …
Ich hätte das Fleisch nicht zu schneiden brauchen, sagte sich Schwester Joan. Er hätte das ganze Stück auf einmal hinuntergeschlungen… Und die Geräusche, die er dabei macht …
Sie stellte den leeren Teller auf das Tablett. Um Freundlichkeit bemüht, sagte sie: »Sooo, und nun gibt es noch Kuchen zum Nachtisch.«
»Keinen Kuchen«, knurrte Stanwyck.
»Aber Mr. Stanwyck, wir müssen alles essen, um wieder zu Kräften zu kommen.«
»Keinen Kuchen!«
»Er schmeckt vorzüglich. Probieren Sie ihn mal.«
»Haben Sie nicht gehört, was ich sagte?« herrschte Stanwyck die Krankenschwester an.
»Schon gut«, lenkte sie ein. »Ist ja schon gut, Mr. Stanwyck. Ich habe verstanden. Sie mögen keinen Kuchen. Ich werde es mir merken. Sie dürfen sich nicht aufregen, das ist nicht gut für Sie. Soll ich sehen, ob ich für Sie noch ein Stück Fleisch auftreiben kann?«
Gier trat in seine Augen. »Ja, Fleisch… Aber roh …«
»Liebe
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