039 - Wolfsnacht
weitergegeben zu haben. Leif Stanwyck war davon angesteckt. Wenn Mr. Silver nichts für ihn tun konnte, wäre es besser gewesen, Dr. Bolan und sein Team hätten ihn nicht durchgebracht.
Das klingt zwar grausam, aber Stanwycks Tod wäre ein Ende ohne Schrecken gewesen, während jetzt unter Umständen ein Schrecken ohne Ende auf uns zukam.
Ich drückte auf die Gabel und wählte meine eigene Nummer. Mr. Silver war sofort am Apparat.
»Ist Cruv von meiner Idee begeistert?« fragte der ExDämon.
»Ja, es ist ihm eine Ehre, Tucker Peckinpahs Schutzengel spielen zu dürfen«, antwortete ich. »Hör zu, Silver, da ist ein Problem aufgetaucht, um das wir uns sofort kümmern müssen.« Ich berichtete dem Hünen, was sich ereignet hatte und was zu befürchten war.
»Wo treffen wir uns?« wollte der ExDämon sogleich wissen.
»Am besten im Krankenhaus.«
»Einverstanden«, sagte Mr. Silver und legte auf.
»Vladek!« sagte ich. »Kommst du mit ins Hospital, oder fährst du lieber mit einem Taxi in die Chichester Road zurück?«
Vladek Rodensky öffnete sein Jackett. Ich sah die Mauser in seiner Schulterhalfter. »Ich reise schon lange nicht mehr ohne«, sagte der Brillenfabrikant. »Und kneifen gibt’s bei mir nicht.«
»Du bist nicht nach London gekommen, um Werwölfe zu jagen…«
»Das ist richtig, aber wenn ich von so einem Monster höre, ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, es zu bekämpfen.«
»Ich komme mit euch«, entschied sich Roxane. Es wäre nicht klug von mir gewesen, die angebotene Hilfe abzulehnen.
»Dann los«, sagte ich.
»Viel Glück«, sagte Tucker Peckinpah. »Hoffentlich ist der Mann noch zu retten.«
»Das hoffe ich auch«, erwiderte ich. »Wollen Sie inzwischen etwas für uns tun, Partner?«
»Alles. Sie brauchen nur zu sagen, was.«
»Mich interessieren alle Einzelheiten dieses Falls. Verschaffen Sie mir die nötigen Informationen. Es gilt nämlich nicht nur, Leif Stanwyck zu helfen. Fast noch wichtiger ist es, den Wolf zu finden, der ihn verletzt hat. Je mehr Sie rauskriegen, desto besser kann ich arbeiten.«
Der Industrielle nickte. »Sie hören von mir, Tony.«
Wir verließen sein Haus. Cruv, der Gnom, blieb bei ihm. Von nun an würden die beiden zusammenbleiben wie siamesische Zwillinge.
Es war ein gutes Gefühl, zu wissen, daß ab sofort ständig jemand auf Peckinpah aufpaßte. Der Mann war für uns nicht nur wertvoll, sondern unersetzlich.
***
1956
Die Tür öffnete sich wieder. Sam Taylor dachte, es wäre Sergeant Dahl. »Sergeant!« sagte er, ohne aufzublicken – er war damit beschäftigt, seine Waffe zu laden –, »Sergeant, es gibt Arbeit!«
»Sind Sie dem blutrünstigen Teufel endlich auf der Spur, Inspektor?« fragte jemand, nicht John Dahl.
Inspektor Taylor kannte die Stimme. Wenn er sie hörte, kam es bei ihm immer zu einem erhöhten Gallenfluß. Er hob den Kopf und blickte in das unsympathische Gesicht des hartnäckigsten, gerissensten und lästigsten Zeitungsreporters von London und Umgebung.
»Was wollen Sie, Delcredy?« fragte Sam Taylor schneidend. Abweisend, beinahe verächtlich, schaute er den Reporter an.
Doch Marc Delcredy hatte keinen Charakter. Man konnte ihn nicht beleidigen, weder mit Worten noch mit Taten. Man konnte ihm getrost einen Tritt geben, der ihn zum Fenster hinausbeförderte, er kam mit Sicherheit grinsend wieder zur Tür herein.
»Ich möchte Ihnen helfen, Inspektor«, behauptete der Reporter.
»So? Dann schließen Sie die Tür, aber von außen.«
»Lieber Inspektor Taylor, Sie wollen doch nicht das gute Klima zwischen Polizei und Presse vergiften. Sie sind auf mich ebenso angewiesen wie ich auf Sie.«
»Irrtum, Delcredy, ich brauche Sie nicht.«
»Die Öffentlichkeit will wissen, was Sie tun. Ich berichte es in unserem Blatt.«
»Auch das stimmt nicht, Delcredy. Wahr ist vielmehr, daß Sie sich alle möglichen Halbwahrheiten aus dem Finger saugen.«
Marc Delcredy lächelte füchsisch. »Wenn Sie mich so dürftig mit Informationen versorgen, muß ich mir den Rest gezwungenermaßen zusammenreimen.«
»Sie haben mich in Ihrem letzten Artikel ziemlich heftig angegriffen. Denken Sie, daß ich das so einfach schlucke? Sie stellen Behauptungen auf, die aus der Luft gegriffen sind. Sie reimen sich die haarsträubendsten Dinge zusammen und gefallen sich in Panikmache.«
»Wer meine Artikel liest, muß die ungeschminkte Wahrheit vertragen können«, sagte der Reporter.
»Ich kriege gleich einen Schreikrampf! Nach all dem, was
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