0392 - Der Rachedolch
Dreiviertelstunde am Ende der privaten Allee vor dem Haupteingang des Landhauses stoppte. Zamorra schaltete den Motor ab und lehnte sich zurück. Er fühlte sich etwas müde. Nachdenklich betrachtete er die Tür und überlegte, wo er den Schlüssel haben könnte. »Gut, daß wir kein Gepäck hinüberschleppen müssen«, sagte er. »Ich denke, wir können unsere Sachen im Wagen lassen. Wir haben ja alles im Haus, was wir brauchen.«
»Nur kühl wird es sein«, bemerkte Nicole. »Hattest du nicht etwas von einem gemütlichen Kaminabend angedeutet?«
Zamorra nickte. »Hatte ich. Werden wir auch durchführen. Hoffentlich springen die Heizungen in den einzelnen Zimmern schnell genug an.«
Er fand den Schlüssel, stieg aus und öffnete das Haus. Nicole folgte ihm eilig. Von den magischen Sperren, die jeden dämonischen oder schwarzmagischen Gegner fernhalten würden, war nichts zu spüren. Auf »normale« Menschen und auf Weiße Magie sprach die Abschirmung nicht an.
Als erste »Amtshandlung« schalteten sie die Heizungen in den benötigten Räumen ein. Zamorra warf sich in trockene Freizeitkleidung und setzte das Kaminholz in Brand, das von dienstbaren Geistern bereits fertig aufgeschichtet worden war; in regelmäßigen Abständen sahen Angestellte der Londoner Filiale des Möbius-Konzerns hier nach dem Rechten. Der Konzern, vornehmlich aber der Seniorchef, hatte hier ständiges Nutzungsrecht; eine langjährige gegenseitige Absprache zwischen Stephan Möbius und Zamorra.
Nach einer Weile tauchte auch Nicole im Kaminzimmer auf; sie trug ein schmales Höschen und eine gepflegte Gänsehaut, die aber bald schwand, als sie es sich direkt vor dem Kaminfeuer bequem machte. Sie hatte eine Flasche Wein und zwei Gläser mitgebracht. »Endlich kann ich mal wieder aus den dicken Winterklamotten ’raus«, bemerkte sie einigermaßen zufrieden.
Zamorra grinste. »Winter? Das hier ist völlig normales englisches Wetter. Die Schotten haben das passende Sprichwort dazu: Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur unpassende Kleidung.«
»Wirklich - sie will mir nicht mehr passen«, lächelte Nicole und schenkte ein. In den sonnigen Urlaubstagen auf Château Montagne und später auf dem Grundstück von Tendyke’s Home im heißen Florida hatte sie es sich angewöhnt, völlig auf Kleidung zu verzichten; die Umstellung nach der Ankunft im kühlen England hatte ihr ein wenig zu schaffen gemacht und ihre Stimmung gedrückt. Jetzt, am Kamin, begann sie endlich wieder etwas aufzuleben. »Der Kältedämon greift mich an -hilf mir, wärme mich«, schnurrte sie und schmiegte sich an Zamorra.
Sie tranken sich zu. Eine wohlige, ruhige Müdigkeit hatte Zamorra erfaßt; er war zufrieden. Endlich mal wieder etwas Ruhe…
Nach einer Weile richtete Nicole sich halb auf. Ihr Blick ging an Zamorra vorbei ins knisternde Feuer, von dem wohltuende Wärme ausging.
»Was ist?« fragte der Parapsychologe träge.
»Ich überlege mir gerade, ob die Polizei mit dem Ewigen zurechtkommt. Ich bezweifele, daß sie mit diesem Gefangenen etwas anfangen können.«
»Na, wenn das deine einzige Sorge ist«, lachte Zamorra leise und zog sie wieder an sich. »Ich glaube, ich muß dich mal auf andere Gedanken bringen, ja?« Er küßte sie.
Ihre Hand glitt sanft über seine Brust, berührte versehentlich die Stelle, an der der Dolch über seine Haut geglitten war. Zamorra zuckte nicht einmal zusammen. Etwas erstaunt betrachtete Nicole die Schnittstelle. Sie war völlig zugewachsen. Die Stelle fühlte sich nur ein wenig härter an als die umgebende Haut. Aber Nicole dachte sich nichts dabei. Sie kam einfach nicht mehr dazu, weil Zamorra begann, ihre Aufmerksamkeit in eine ganz andere Richtung zu lenken. Eine Richtung, die ihr schon immer mehr Spaß gemacht hatte als alles andere…
Irgendwann sanken sie auf den weichen Fellen vor dem ausbrennenden Kaminfeuer in traumlosen Schlaf…
***
Der Gefangene erwachte schon wenige Minuten nach der Abfahrt vom Autobahnparkplatz wieder aus seiner Bewußtlosigkeit. Lieutenant Spokayne, der anfangs ernsthaft erwogen hatte, ihn mit einem Sanitätswagen transportieren zu lassen, atmete erleichert auf. Während der Fahrt versuchte er ein Gespräch mit dem Festgenommenen zu beginnen. Aber der Mann, der die Uniform eines überfallenen Polizisten trug, hüllte sich in Schweigen.
»Ihr verstocktes Schweigen wird Ihnen nicht viel nützen«, behauptete Spokayne. »Wir finden heraus, wo Sie Officer Cad überfallen und ihm den Wagen
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