0396 - Leonardos Zauberbuch
Loire-Tal…
***
Die seelenlose Leiche schwamm im Lambro flußabwärts. Ettore Terzotti sah ihr nicht hinterher, auch nicht dem ebenfalls, mit einem Stein beschwert, im Wasser versenkten Kleiderbündel. Er war sicher, daß niemand die Leiche finden würde. Und wenn - würde er sie sehr schnell wieder vergessen. Oder die Akten würden verstauben. Oder sonst etwas würde geschehen. Aber es waren keine Schwierigkeiten zu erwarten.
Langsam ging Terzotti wieder zu seinem Wagen zurück. Der metallic-schwarze 420 SEL schimmerte im Sternenlicht. Terzotti dachte an die heutige Beschwörung zurück. Er wußte, daß er sich auf den Fürsten der Finsternis verlassen konnte. Wenn der Verräter ertappt und bestraft wurde, würde niemand hinter seinem Leichnam herkrähen. Der Höllische würde seine schützende Hand über den Henker halten. Dafür hatte er seine Bezahlung vorweggenommen.
Es hätte jeden treffen können. Jeden einzelnen von ihnen. Terzotti hatte anfangs befürchtet, daß der Fürst der Finsternis sich an ihm selbst vergreifen würde. Erfreulicherweise war dieser Kelch an ihm vorübergegangen. Aber er hatte Todesangst ausgestanden. Zu nah war Satan ihm gewesen…
Er hatte alle seine Kraft, seinen Mut gebraucht, um dem Dämon entgegenzustehen. Und er wäre zum Schluß fast zusammengebrochen. Er war froh, daß Gambino dagewesen war. Der Mann war nicht mit Geld zu bezahlen. Das Ritual hätte in einem furiosen Fiasko enden können, wenn Gambino es nicht zu Ende geführt hätte.
Erst jetzt, Stunden danach, hatte Terzotti sich wieder einigermaßen von der Strapaze erholt. Aber die Angst, die wohnte immer noch in ihm und seiner Erinnerung. So furchtbar war ihm der Fürst der Finsternis noch nie entgegengetreten. Langsam begann er zu zeigen, daß er nicht nur der willige Diener war, der auf ein Fingerschnippen hin erschien. Die Macht, die der Teufel gab, besaß er selbst! Und er wendete sie auch an!
Tod dem Verräter!
Aber wer würde es sein?
Terzotti verzog die Mundwinkel bei dem Gedanken, daß dieser Verräter bereits im voraus gerichtet worden sein könnte. Vielleicht war er es, den der Satan aus dem Kreis herausgegriffen hatte. Dann wäre es ihm natürlich ein Leichtes, das Zugeständnis zu machen, daß der Richter und Henker von keiner weltlichen Macht zur Rechenschaft gezogen werden würde…
Aber so ganz konnte Terzotti daran nicht glauben. Wie sollte der Höllenfürst den Verräter kennen, wenn nicht einmal der Priester selbst wußte, wer es sein würde? Er hatte nur berechnen können, daß der Verrat in allernächster Zeit geschehen würde.
»Vielleicht bin ich selbst der Verräter?« Er grinste freudlos und stieg in den Wagen. »Oder Gambino? Er mit seinen überragenden Kenntnissen der Magie? Vielleicht nutzte er diese Kenntnisse, um…?«
Er verstummte.
Plötzlich breitete sich in ihm Unruhe aus. Ein warnendes Gefühl sagte ihm, daß in der Fabrik etwas nicht stimmte. Es war nur ein vager Eindruck, aber Terzotti nahm ihn ernst. Er wußte, daß er sich auf seine innere Stimme verlassen konnte. Er hatte gelernt, auf sie zu hören.
Er wußte nicht, was geschah, aber er ahnte, daß sich dort etwas abspielte, das nicht hätte sein sollen. Ein Landstreicher, der zufällig die Geheimtür fand und eindrang? Eine Polizeirazzia? Eine Jugendbande, die dort Quartier nahm und vertrieben werden mußte? Oder… der Verräter?
Terzotti beugte sich vor und öffnete das Handschuhfach. Er nahm die großkalibrige Pistole heraus und prüfte das Magazin. Die Waffe war geladen.
Den Schalldämpfer ließ er im Handschuhfach liegen. In der Einsamkeit des verlassenen Fabrikgeländes würde niemand sich um den Schuß kümmern.
Terzotti startete den Wagen. Er lenkte den Mercedes auf die Hauptstraße zurück, fort vom Flußufer. Dann trat er das Gaspedal durch. Er jagte auf der Umgehung um Milano herum nach Norden, zur Fabrik.
Der Sektenpriester folgte seinem Gefühl…
Oder der Warnung des Teufels…?
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Teri Rhekens Aufenthalt auf der Leitner-Hofstätte bei Vigo näherte sich allmählich seinem Ende. Die Silbermond-Druidin hatte die Tage in den Dolomiten genossen. Daß sie es zwischendurch mit Laurin und seinem verwunschenen Zauberreich zu tun gehabt hatte, störte sie jetzt nicht mehr. Um so dankbarer aber war ihr Sibylle Leitner, die von der Druidin aus den Klauen Sintrams gerettet worden war. Zwischen den beiden Mädchen war eine Freundschaft entstanden, von der beide wußten, daß sie relativ hoffungslos war - es
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