0396 - Leonardos Zauberbuch
hatte.
Sie stoppten und sprangen aus ihren Autos. Einer hielt seine Dienstwaffe in der Hand. Wenn an diesem Temposünder, der ihnen so viel Ärger und Nervenstreß bereitet hatte, auch nur noch ein heiles Haar war, würde er sein blaues Wunder erleben.
Im selben Moment, als sie im Loch in der Beplankung standen und die Böschung hinunter sahen, krachte es da. In einer gewaltigen Explosion flog der Ferrari auseinander und schleuderte glühende Blechteile durch die Luft. Keiner der vom grellen Blitz geblendeten Polizisten konnte hinterher sagen, ob der Wagen auf den Rädern gestanden oder auf dem Dach gelegen hatte. Als dann nur noch Flammen züngelten und mit ihrem Hitzedruck die fette schwarze Qualmwolke in den Himmel drängten, lagen die deformierten Reste des Wagens auf der Seite.
Er brannte überall zugleich.
»Der hat’s hinter sich, heilige Maria«, murmelte der Polizist, der die Dienstwaffe entsichert in der Hand hielt, und steckte sie ins Futteral zurück. »Das habe ich ihm wirklich nicht gewünscht…«
In dem Feuerorkan, der da unten tobte und den Ferrari zu einem ausgeglühten Klumpen Metall werden ließ, dessen Kunststoff- und Lederteile zu Asche zerfielen oder verdampften, konnte der Fahrer nicht mehr überleben. Für ihn gab es keine Rettung mehr.
»Wenigstens hat dieser irrsinnige Raser keine Unschuldigen mit in den Tod genommen«, sagte ein anderer Beamter rauh. »Unverantwortlich, dieses Tempo. Der muß doch mit wenigstens dreihundert Sachen durch die Leitplanke gejagt sein, sonst hätte er sie nicht bei seinem Winkel so durchschlagen können.«
»Siehst du hier Spuren? Ich nicht! Der Aufprall hat ihn hochgewirbelt. Der hat die Planke nur aufgeknackt und ist dann regelrecht drüberweggeflogen. Solchen Idioten sollte man den Führerschein auf Lebenszeit abnehmen und sie einsperren…«
»Eher die, die solche Geschosse bauen«, wandte der Tempogegner von eben ein. »Außer bei den tedesci, den Deutschen, gibt’s in allen europäischen Ländern Tempobegrenzungen zwischen neunzig und hundertvierzig Kilometern por Stunde! Wozu brauchen wir da Autos, die dreimal so schnell sind? Selbst wenn’s nur um den Spaß am Fahren geht, gehört der auf die Rennstrecke und nicht in den normalen Straßenverkehr…«
Unten brannte der Ferrari aus. Die Feuerwehr zu rufen, brachte nichts mehr.
»Wenn es hell wird, dürfte das Feuer erloschen sein. Dann sehen wir uns die Reste mal in Ruhe und bei Tageslicht an. Vorher können wir ohnehin nichts mehr machen…«
***
Wenn sie genauer hingeschaut hätten, hätten sie doch noch etwas machen können. Aber ihre Blicke wurden von den Flammen angezogen, so daß sie der Umgebung keine Aufmerksamkeit mehr schenkten.
Dort bewegte sich etwas von den Flammen fort…
Giorgio Gambino schleppte sich und das Buch durch die Dunkelheit. Er zog das linke Bein nach. Es mußte verletzt sein. Bei jedem Schritt durchzuckte ihn tierischer Schmerz. Aber er biß die Zähne zusammen und bewegte sich weiter.
Als er auf der Autobahn weit voraus die Blaulichter von gleich drei Streifenwagen sah, hatte er sich denken können, was auf ihn wartete. Seine Flucht war zu Ende, nur ein paar Dutzend Kilometer nachdem sie begonnen hatte. Dabei war er gerade erst an Bergamo vorbei.
Dann aber packte es ihn. Er wollte sich nicht festnehmen und nach Milano zurückbringen lassen. Er wollte sich nicht an die Sekte ausliefern lassen. Er gab Gas, und zugleich versuchte er sich an einer Beschwörung. Er mußte versuchen, sich zu schützen…
Zum ersten Mal in seinem Leben praktizierte er eine Konzentrationsübung dieser Art bei hohem Tempo im fahrenden Wagen. Er hoffte, daß sie gelang. Einen Schutzzauber dieser Art hatte er auch noch nie ausprobieren müssen. Er wunderte sich selbst darüber, daß er die Formeln richtig hinbekam. Dabei war sein Wissen gerade über diese Dinge eher lückenhaft.
Er konnte nur hoffen…
Und er pokerte! Wichen die Blockadefahrzeuge rechtzeitig aus?
Einer schwenkte im allerletzten Moment weg, ehe er auf die Hörner genommen werden konnte. Gambino hatte fast schon mit beiden Füßen auf der Bremse gestanden. Er wußte, daß seine Bremsen das gerade noch gepackt hätten, aber danach hätte er sie und die Reifen wegwerfen können. Aber darauf wäre es dann auch nicht mehr angekommen, weil sie ihn dann hatten.
Er biß sich die Unterlippe blutig, als er den roten Flachmann zwischen den Polizeiwagen hindurchbrachte. Er glaubte, ihnen die Rückspiegel rechts und links
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