0396 - Mord-Marionetten
Marionette schwang näher. Abermals begann die dunkle Kleidung zu flattern, und der Wind fuhr auch so gegen sie, dass ein dünnes Tuch vom hölzernen Gesicht weggezerrt wurde. Ich erkannte, dass ich es hier mit einer japanischen Puppe zu tun hatte. Jedenfalls ließ die Mongolenfalte darauf schließen.
Ich warf der Frau einen Blick zu. »Wie viele Puppen hat er eigentlich? Geht das quer durch alle Rassen und Völker?«
»Ja«, erwiderte sie, wobei ihre Augen anfingen zu strahlen.
»Schau dir dieses Püppchen mal genau an, Sinclair. Das ist eine japanische Kampfpuppe. So haben früher die Samurais oder Ninja ausgesehen.«
»Ich kenne sie.«
»Dann weißt du ja, wie gefährlich sie sind.«
Die Marionette schwebte in einer schrägen Linie auf uns zu. Jetzt, wo sie näher herangekommen war, sah ich auch die hauchdünnen Fäden, die so mörderisch sein konnten und denen es nichts ausmachte, auch Menschen zu töten.
»Bin ich jetzt ihr Ziel?«, fragte ich.
»Wer weiß…«
Ich wollte die Puppe nicht zerstören, dafür tat ich etwas anderes.
Ein Schritt brachte mich hinter Moira. Ich redete eindringlich auf sie ein. »Wenn sie versuchen sollte, mich zu killen, bist du zuerst an der Reihe.«
»Ist deine Angst so groß, Sinclair, dass du dich hinter einer Frau verstecken musst?«
»Nein, ich will nur sichergehen.«
Ob die Puppe wegen mir abdrehte oder nicht, das war nicht sicher. Jedenfalls änderte sie ihre Richtung und schwebte davon. Ich baute mich wieder neben Moira auf und schaute ihr nach. Dabei fiel mein Blick auch in die Höhe. Er traf genau die Stelle über der Marionette. Und dort sah ich die beiden schwarzen Wolken.
Sie sahen gefährlich aus, sodass ich im ersten Augenblick an den Spuk dachte. Bis ich die beiden Hände schattenhaft erkannte, die sich innerhalb der Wolken abzeichneten.
Das musste Mr. Doll sein! Oder wenigstens die Hände von ihm, die den Fadenwirrwarr betätigten.
»Gehen wir ihr nach«, schlug Moira vor. »Sie wird uns zum Ziel bringen.«
Mir blieb nichts anderes übrig. Zudem wollte ich diesen geheimnisvollen Puppenmacher unbedingt kennen lernen.
Wir ließen den kleinen Teich hinter uns und erreichteneinen schmalen Weg, der bald darauf in einen breiteren mündete. Von der Puppe sahen wir nichts mehr, aber Moira kannte den Weg auch so.
»Ich spüre ihn bereits«, flüsterte sie. »Ja, er wartet auf uns.«
Sie hatte sich nicht geirrt. Nach einer Kurve bekamen wir freien Blick auf eine Lichtung. Und dort stand das Zelt.
Schwarz, unheimlich, mit einem Eingang versehen, über dem ein Schild hing.
Mr. Doll’s Puppenspiele
Moira blieb stehen. »Wir sind da«, sagte sie aufatmend und deutete auf den Eingang. »Hier hält er sich auf.«
Ich wunderte mich, weil das Ganze ziemlich offiziell wirkte. »Gibt er eigentlich Vorstellungen?«, erkundigte ich mich.
»Das hat er früher immer getan. Weshalb sollte es heute anders sein? Aber lass dir gesagt sein, Sinclair. An diesem Tage spielt er nur für uns und meine Rache. Ich finde es nobel von dir, dass du dich für die anderen aufopferst.«
Auf diese Bemerkung ging ich nicht weiter ein. Noch lebte ich, und das sollte auch so bleiben.
Ich ließ Moira stehen und schritt auf das Zelt zu. Es war ziemlich groß, bestimmt fünfzig Zuschauer hätten darin Platz gefunden, und es bestand aus einer schwarzgrauen Plane, die sich im Wind bewegte. Aus der Mitte des Zeltes stach eine Stange hervor, an deren Ende ein Wimpel flatterte. Als Motiv hatte er eine lustige Puppe.
Es wunderte mich, dass wir die Einzigen waren, die sich in der Nähe aufhielten. Wenn dieser Mr Doll für die Öffentlichkeit spielte, musste er damit rechnen, dass auch Zuschauer kamen.
»Wann beginnt denn die nächste Vorstellung?«, fragte ich über die Schulter zurück.
Moira lachte. »Wenn wir es für richtig halten. Sie wird exklusiv für uns eingeläutet.«
»So ist das.«
»Genau.«
Ich ging bis dicht an den Eingang und blieb erst dort stehen, um mich umzuschauen. Auch als ich einen Blick in das Zelt hineinwarf, sah ich weder den Puppenspieler noch eine seiner Marionetten. Es brannte zudem kein Licht, sodass dieses Zelt auf mich wie eine unheimliche Höhle wirkte, in deren Dunkelheit etwas lauerte.
Moira kam ebenfalls näher. »Du kannst ruhig hineingehen, Geisterjäger. Wir werden sicherlich erwartet.«
»Gern, aber nach dir.«
»Willst du fliehen?«
»Dein Misstrauen regt mich auf! Dann hätte ich schon längst die Chance gehabt. Ich möchte nur keine
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