04 - Die Tote im Klosterbrunnen
Vater Gulban glaubt«, murmelte Olcán.
»Achtet nicht auf ihn, Schwester Fidelma«, beschwichtigte Torcán. »Nach soviel Wein weiß er nicht mehr, was er redet.«
»Natürlich«, erwiderte Fidelma ernst, dachte dabei jedoch an das alte römische Sprichwort »in vino veritas« , im Wein liegt Wahrheit.
Torcán hob den Kopf.
»In der Tat, wir hoffen, bald in Cashel einzutreffen und dort höchstpersönlich unseren Treueid für Colgú abzulegen.«
Plötzlich spuckte Olcán in seinen Pokal, schüttete einen Teil des Inhalts über sich und begann heftig zu husten.
»Irgendwas … Irgendwas ist mir in die falsche Kehle geraten«, keuchte er und blickte verlegen in die Runde.
Torcán reichte ihm stirnrunzelnd ein Glas Wasser.
»Ihr habt für heute abend wohl genug getrunken«, tadelte er ihn streng.
Fidelma nutzte die Gelegenheit und erhob sich, da ihr bewußt wurde, wie spät es war.
»Es ist fast Mitternacht. Ich muß in die Abtei zurück.«
»Müßt Ihr wirklich schon gehen?« Torcán war die Höflichkeit in Person. »Adnár ist sehr stolz auf seine Musikanten, und wir haben ihren Darbietungen noch gar nicht lauschen können.«
»Vielen Dank, aber ich muß zurück.«
Adnár winkte einen Diener herbei und gab ihm flüsternd Anweisungen.
»Ich habe das Boot bestellt, das Euch hinüberbringt. Vielleicht kommt Ihr ein andermal und hört meinen Musikanten zu?«
»Gerne«, erwiderte Fidelma, während ein Bediensteter ihre Schuhe brachte und ihr in den Umhang half.
Als das Boot vom Anlegesteg von Dún Boí in die dunkle Nacht hinausfuhr, war Fidelma erleichtert, die düsteren, erdrückenden Mauern der Festung hinter sich zu lassen. Sie hatte das Gefühl, auf Messers Schneide gewandelt zu sein, zwischen Sicherheit und allergrößter Gefahr.
K APITEL 14
Das Echo des Gongs, der die Mitternacht verkündete, hallte laut und deutlich vom Turm der Abtei. Fidelma hatte ihren mit Biberpelz verbrämten, wollenen Umhang ganz um sich gewickelt und bewegte sich geräuschlos durch den Wald, der unter einem weißen Schleier lag. Leise knirschte der Neuschnee unter ihren Füßen, und ihr Atem schwebte wie Nebel vor ihr her, sobald er mit der kalten Luft in Berührung kam. Trotz der späten Stunde war die Nacht leuchtend hell, denn der Vollmond war zwischen den Wolken hervorgetreten und ließ die Schneedecke glitzern.
Fidelma war sicher, daß niemand sie gesehen hatte, als sie das Gästehaus und das Abteigelände geräuschlos Richtung Wald verließ. Gelegentlich blieb sie stehen und schaute zurück, aber in der Totenstille der Nacht regte sich nichts. Sie ging jetzt schneller, und ihr Atem kam stoßweise, denn in der kalten Luft kostete das Gehen mehr Anstrengung als sonst.
Erleichtert hörte sie weiter vorne das leise, muntere Wiehern von Pferden, und nach wenigen Minuten sah sie die Tiere sowie Ross und Odar, die ihre Zügel hielten.
»Gut gemacht, Ross!« begrüßte sie ihn atemlos.
»Ist alles in Ordnung, Schwester?« fragte der Seemann besorgt. »Hat Euch jemand beim Verlassen der Abtei gesehen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Laßt uns unverzüglich losreiten. Ich glaube, wir haben heute nacht viel zu tun.«
Odar half ihr in den Sattel einer dunklen Stute, bevor er und Ross sich auf ihre Pferde schwangen. Ross ritt voraus, er wußte offensichtlich, welche Richtung sie einschlagen mußten. Fidelma folgte ihm, und Odar bildete die Nachhut.
»Woher habt Ihr die Pferde?« fragte Fidelma anerkennend, während sie den Waldweg entlangtrabten. Sie war eine ausgezeichnete Pferdekennerin.
»Odar hat sie beschafft.«
»Von einem einfachen Bauern nicht weit von hier. Einem Mann namens Barr«, ergänzte Odar mürrisch. »Sein Hof scheint zu florieren, seit ich das letzte Mal geschäftlich mit ihm zu tun hatte. Damals konnte er sich keine Pferde leisten. Ich habe die Tiere für eine Nacht bei ihm gemietet.«
»Barr?« Fidelma runzelte die Stirn. »Ich glaube, ich habe den Namen schon mal gehört. Egal. Ach ja«, erinnerte sie sich plötzlich, »jetzt fällt’s mir wieder ein. Ist denn Barrs vermißte Tochter inzwischen wieder aufgetaucht?«
Odar blickte sie verwundert an.
»Tochter? Barr ist nicht einmal verheiratet, von Kindern ganz zu schweigen.«
Fidelma schürzte nachdenklich die Lippen, erwiderte jedoch nichts.
Plötzlich schauderte sie vor Kälte – trotz ihres Umhangs. Ein eisiger Wind strich wispernd um die schneebedeckten Ausläufer der hohen Berge.
Ross deutete nach oben.
»Unser Pfad führt dort entlang,
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