04 - Die Tote im Klosterbrunnen
alte Kriegsgebräuche nicht irreführen. Das lernt man alles während der Ausbildung zum Waffendienst.«
Einen Augenblick überlegte Fidelma, ob sie dem nachgehen und Torcán fragen sollte, warum er die Bibliothek der Abtei gebeten hatte, ihm eine Kopie der Chroniken von Clonmacnoise zu schicken. Bevor sie jedoch fortfahren konnte, sagte Bruder Febal: »Ich habe gesehen, daß Ross’ Schiff wieder im Hafen liegt.«
Alle hatten mitbekommen, daß die Bark von Kapitän Ross am Nachmittag in die Meerenge gesegelt war. Febals Einwurf bedurfte also keiner Erwiderung.
Olcán schenkte sich Wein nach. Sein hageres Gesicht war gerötet; er schien dem Alkohol munter zuzusprechen.
»Ich habe gehört, daß sein Schiff nahe der Insel Dóirse gesichtet wurde, ein Stück die Küste hinunter«, fuhr Bruder Febal fort.
Diesmal konnte sie seine offensichtliche Aufforderung zu einer Stellungnahme nicht mehr ignorieren. Die ausgezeichnete Kommunikation unter Gulbans Leuten war ausgesprochen ärgerlich, doch Fidelma ließ sich nichts anmerken.
»Ich glaube, Ross ist regelmäßig in Geschäften entlang der Küste unterwegs«, antwortete sie.
»Ich hätte nicht gedacht, daß man mit Dóirse große Geschäfte machen kann. Es ist eine karge Insel, vom Sturm umtost«, bemerkte Adnár.
»Mit den Handelsbedingungen an dieser Küste bin ich nicht vertraut«, erwiderte Fidelma.
Nun kam Bewegung in die Tischgesellschaft, Diener traten ein, räumten die Teller ab und brachten zum Nachtisch eine Auswahl neuer Schüsseln herein, mit Äpfeln, Honig und den verschiedensten Nüssen.
»Wir handeln viel mit Kupfer aus unseren Minen hier in der Nähe«, erklärte Olcán, während er sich erneut Wein nachschenkte.
Fidelma gab vor, die Schale mit den Nüssen zu untersuchen, doch sie hatte den Eindruck, daß Torcán sie anstarrte, als wolle er ihre Reaktionen prüfen.
»Ich habe gehört, daß es viele Kupferminen in diesem Bezirk gibt.« Es war besser, sich so weit wie möglich an die Wahrheit zu halten. »Treibt Ihr viel Handel mit anderen Ländern?«
»Manchmal kommen gallische Schiffe und tauschen Wein gegen Kupfer«, antwortete Adnár.
Fidelma hob ihren Becher, als wolle sie einen Trinkspruch ausbringen.
»Offensichtlich ein guter Tausch«, bemerkte sie lächelnd. »Besonders, wenn alle Weine so gut sind wie dieser.«
Adnár wendete weitere Fragen ab, indem er ihr mehr Wein anbot.
»Wie geht es Euerm Bruder, unserem König?« wollte Torcán unvermittelt wissen.
Sofort spürte Fidelma erneute Anspannung am Tisch. Sie war augenblicklich auf der Hut und fragte sich, ob die Geschichten stimmten, die Ross aufgeschnappt hatte. Die ganze Zeit hatte sie überlegt, wie sie das Thema anschneiden könnte, ohne Verdacht zu erregen. Sie mußte vorsichtig sein.
»Meinem Bruder Colgú? Ich habe ihn seit seiner Amtseinsetzung in Ros Ailithir nicht mehr gesehen.«
»Ach ja. Mein Vater war dabei«, erwiderte Olcán und nahm sich einen Apfel.
»Meiner auch«, fügte Torcán eiskalt hinzu. »Wie ich höre, hat Colgú großartige Pläne für Muman.«
Fidelma tat die Bemerkung ab.
»Ich habe meinen Bruder nur das eine Mal gesehen, seit er König von Cashel wurde«, sagte sie. »Ich lebe in Kildare, im Kloster der Heiligen Erigida, und habe mich noch nie sonderlich für Muman interessiert.«
»Ach«, hauchte Torcán die Silbe wie einen leisen Atemzug.
Olcán wandte ihr einen mittlerweile etwas verschwommenen Blick zu.
»Aber Ihr wart in Ros Ailithir, als die Versammlung der Loígde die Ansprüche meines Vaters auf das Amt des Häuptlings zurückwies und statt dessen Bran Finn Mael Ochtraighe zum Häuptling ernannte?«
Fidelma nickte.
»Das hat meinen Vater sehr aufgeregt. Ihr kennt doch Bran Finn?«
Sie spürte aufkeimendes Unbehagen in der Runde.
»Wer kennt ihn nicht?« erwiderte sie. »Er ist ein berühmter Dichter und Krieger.«
»Mein Vater Gulban hält ihn für einen Thronräuber.«
»Olcán!« Torcán wandte sich mit einem mahnenden Blick an den Jüngling, der offenbar betrunken war.
»Ich hoffe, er wird sich als besserer Häuptling erweisen als Salbach«, entgegnete Fidelma.
Sie sah, daß Adnár Torcán einen warnenden Blick zuwarf und dabei verstohlen in Olcáns Richtung nickte, bevor er sich mit einschmeichelndem Lächeln Fidelma zuwandte.
»Das wird er bestimmt«, versicherte ihr der Häuptling von Dún Boí. »Er hat das Volk hinter sich, genau wie Euer Bruder Colgú. Nicht wahr, Torcán?«
»Ganz und gar nicht, wenn man meinem
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