04 - Die Tote im Klosterbrunnen
abend eine Einladung zu einem Festessen in Dún Boí angenommen, mit Adnár und seinen Gästen, Torcán und Olcán. Vielleicht erweist sich das als durchaus vorteilhaft – wer weiß, was ich dort zu hören bekomme.«
Ross war alles andere als begeistert.
»Die Sache mit den Uí Fidgenti gefällt mir gar nicht, Schwester. Schon seit Wochen kursieren Gerüchte entlang der Küste. Man sagt, Eoganán von den Uí Fidgenti habe ein Auge auf Cashel geworfen.«
Fidelma lächelte matt.
»Ist das alles? Die Uí Fidgenti haben schon immer nach dem Königsthron in Cashel geschielt. Haben sie sich nicht vor fünfundzwanzig Jahren gegen Cashel erhoben, als Aed Slane dort Oberkönig war?«
Die Uí Fidgenti waren ein großer Stamm im Westen des Königreichs Muman, dessen Prinzen und Häuptlinge es vorzogen, sich Könige zu nennen, und die behaupteten, sie seien die wahren Nachkommen der ersten Könige von Cashel und hätten ältere Ansprüche auf den Thron als Fidelmas Familie. Bei Fidelmas Geburt war ihr Vater König von Cashel gewesen, und jetzt saß ihr Bruder Colgú als Nachfolger seines Cousins auf dem Thron des Unterkönigs von Muman und war als solcher einzig und allein dem Oberkönig gegenüber verantwortlich. Fidelma war seit ihrer Kindheit mit den Behauptungen der Uí Fidgenti vertraut. Sie setzten alles daran, ihrer Familie das Königtum von Cashel streitig zu machen, und keiner hatte seine angeblichen Ansprüche bisher lautstarker vertreten als der gegenwärtige Prinz, Eoganán.
Ross runzelte mißbilligend die Stirn.
»Was Ihr sagt, ist richtig, Schwester. Doch Euer Bruder sitzt erst seit wenigen Monaten auf dem Thron. Er ist jung und unerfahren. Falls Eoganán von den Uí Fidgenti versuchen wollte, Colgú zu stürzen, so wäre jetzt der günstigste Zeitpunkt.«
»Was soll er denn versuchen? Die große Versammlung in Cashel hat meinen Bruder in seinem Amt bestätigt, und der Oberkönig hat von Tara aus diese Entscheidung gebilligt.«
»Wer weiß, was Eoganán plant? Überall an der Küste kursieren Gerüchte, daß sich etwas zusammenbraut.«
Fidelma dachte gründlich über die Lage nach.
»Um so mehr Grund für mich, an dem Festessen heute abend teilzunehmen, denn vielleicht verrät Torcán mir etwas über die Pläne seines Vaters.«
»Ihr bringt Euch damit höchstens in Gefahr«, warnte Ross. »Torcán wird zweifellos herausfinden, wer Ihr seid …«
»Daß ich die Schwester von Colgú bin? Wir sind uns gestern im Wald begegnet. Er weiß es bereits.«
Sie hielt inne, runzelte die Stirn und dachte an den Pfeil, der ihrem Leben beinahe ein Ende gesetzt hätte. Könnte Torcán diesen Pfeil absichtlich auf sie abgeschossen haben, wohl wissend, daß sie Colgús Schwester war? Aber warum sollte er ihr nach dem Leben trachten? Sie hatte mit der Thronfolge in Cashel nichts zu tun. Nein, darin lag keinerlei Logik. Außerdem hatten sowohl Torcán als auch seine Männer überrascht reagiert, als sie erfuhren, wer sie war, und sich bemüht, ihren Fehler zu bemänteln. Falls Torcán den Pfeil doch mit Absicht abgeschossen hatte, dann hatte er jedenfalls nicht ihr gegolten. Es wäre ein leichtes für ihn gewesen, Fidelma im Wald zu töten.
Ross musterte prüfend ihren Gesichtsausdruck.
»Ist bereits irgend etwas vorgefallen?« fragte er instinktiv.
»Nein«, log sie schnell. »Zumindest«, korrigierte sie sich, nachdem sie plötzlich Schuldgefühle verspürte, »nichts, was unseren Plan ändern könnte. Um Mitternacht, nach dem Festessen in Dún Boí, treffe ich mich mit Euch und einem Eurer Männer im Wald hinter der Abtei. Beschafft drei Pferde, ohne dabei Verdacht zu erregen.«
»Wie Ihr wünscht. Ich nehme Odar mit, er ist genau der Richtige für unser Vorhaben. Aber wenn Torcán auch an dem Festessen teilnimmt, wäre es mir lieber, Ihr würdet nicht hingehen.«
»Einer Beamtin der irischen Gerichtsbarkeit wird niemand ein Leid zufügen – das würden weder König noch Bürger wagen«, verkündete Fidelma zuversichtlich, doch noch während sie die Worte aussprach, wünschte sie, sie könnte wahrhaftig daran glauben.
Fidelma erhob sich, und Ross folgte ihr hinaus aufs Deck. Es lag auf der Hand, daß er ihren Plan nicht vorbehaltlos billigte, doch in Ermangelung einer besseren Idee willigte er ein.
Sie wollte gerade an der Außenseite des Schiffes hinunterklettern, als er fragte: »Wie geht es eigentlich mit dem Fall voran, dessentwegen Ihr gekommen seid?« Er deutete mit dem Daumen zur Abtei hinüber. Der
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