04_Es ist was Faul
uns Alexander der
Große besucht, ein reizender Bursche, allerdings mit schockierenden Tischmanieren.
»Und wie gefällt es Ihnen im Jahre 1988, Herr Bismarck?«
»Die chemische Reinigung hat mich sehr beeindruckt«, erwiderte der große Preuße, »und für den Otto-Motor sehe ich auch
große Chancen.« Damit wandte er sich wieder an meine Mutter.
»Ich würde gern mit dem dänischen Premier sprechen. Wissen
Sie vielleicht, wo er ist, gnädige Frau?«
»Ich fürchte, mein Mann hat ein kleines Problem, ihn zu finden, Herr Bismarck«, sagte meine Mutter und wedelte mit dem
Kuchenmesser. »Möchten Sie vielleicht erst mal ein Stückchen
Battenberg?«
»Ah!«, sagte Bismarck, und seine Haltung entspannte sich
etwas. Er machte einen behutsamen Schritt über den schlafenden DH-82 hinweg und setzte sich neben meine Mutter aufs
Sofa. »Bei Ihnen gibt es den besten Battenberg, den ich je hatte!«
»Ach, Herr Bismarck«, sagte meine Mutter errötend. »Sie
schmeicheln!« Hinter Bismarcks Rücken wedelte sie mit der
Hand, um uns zu verscheuchen. Brave Kinder, die wir waren,
standen wir auf und zogen uns höflich zurück.
»Wer hätte das gedacht?«, sagte Joffy, als wir die Tür hinter
uns schlossen. »Mum ist auf teutonischen Sex scharf!«
Ich hob eine Augenbrauen und warf ihm einen tadelnden
Blick zu. »Das halte ich nicht für wahrscheinlich, Joff. Ich
denke, sie braucht einfach ein bisschen intelligente Gesellschaft,
und Dad kommt ja nicht so oft vorbei, nicht wahr?«
Joff kicherte. »Nur gute Freunde, ja? Wollen wir wetten, dass
Mum und der Eiserne Kanzler nächste Woche das Tier mit zwei
Rücken machen? Sagen wir, um einen Zehner?«
»Abgemacht.« Wir besiegelten die Wette mit einem Händedruck.
Da Emma, Hamlet, Bismarck und meine Mutter jetzt gut beschäftigt waren, sah ich eine Gelegenheit, mich mal für eine
Weile selbständig zu machen. Ich bat Joffy, sich ein bisschen
um Friday zu kümmern, und machte mich auf die Socken.
Ich wandte mich nach links und ging die Marlborough Road
hinauf. Acht Jahre lang war das mein Schulweg gewesen. Jeder
Baum, jede Mauer und jedes Haus war mir so vertraut wie ein
alter Freund. Am Pipers Way war ein neues Hotel gebaut worden, und in der Old Town hatten ein paar Läden offenbar die
Besitzer gewechselt.
Ich ging die Bath Road hinunter, bog zweimal nach rechts
und links ab, und plötzlich stand ich in der Straße, wo ich mit
Landen gewohnt hatte, ehe er ausgelöscht worden war. Ich war
eines Tages nach Hause gekommen und fand seine Eltern in
unserem Haus wohnend vor. Sie waren der Ansicht, ihr Sohn
sei in frühester Kindheit ertrunken, und hielten mich für eine
Verrückte, weil ich behauptete, mit ihm verheiratet zu sein.
Um keinen Ärger zu machen und keine neuen Demütigungen zu erleben, blieb ich vorsichtshalber auf der anderen Straßenseite. Das Haus sah immer noch so aus wie vor zwei Jahren.
Auf der Veranda stand ein Pflanzentrog mit einer vertrockneten
Tickia orologica, dahinter ein rostiges Fahrrad, und die scheußlichen Vorhänge in den Fenstern waren nach wie vor die seiner
Mutter. Ich ging weiter, dann drehte ich abrupt um. Ein gewisser Fatalismus mischte sich in meine Entschlossenheit, Landen
zurückzuholen, und ich begann mich zu fragen, ob ich es wirklich schaffen würde. Sollte ich mich vielleicht darauf vorbereiten
zu scheitern? Er war ja tatsächlich gestorben, als er zwei Jahre
alt war, und ich hatte nur Erinnerungen, wie es gewesen war, als
er noch lebte und mein Geliebter und Ehemann war.
Ich zuckte die Achseln und schalt mich wegen meiner morbiden Gedanken. Inzwischen war ich auf dem Weg zu den
Twilight Homes, wo meine Granny jetzt lebte.
Als die Pflegerin mich hereinführte, sah Granny gerade einen
Naturfilm. Ein mir unbekannter, schwerfälliger Vogel watschelte über den Bildschirm. Gran trug wie immer ein blau kariertes
Nachthemd. Ihr dünnes graues Haar war zerzaust, und man sah
ihr jedes ihrer 110 Jahre an. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt,
dass sie ihre sterbliche Hülle erst dann abschütteln könnte,
wenn sie die zehn langweiligsten Bücher gelesen hätte, aber da
»langweilig« fast noch schwerer zu bestimmen war als »nicht
langweilig«, war es praktisch unmöglich, ihr zu helfen. Außerdem interessierte sie sich für nahezu alles.
»Psst!«, machte sie, als ich hereinkam. »Das ist eine absolut
faszinierende Sendung!« Sie starrte wie angenagelt auf den
kleinen Fernseher. »Stell dir vor,
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