04_Es ist was Faul
Religionsgemeinschaft
zustimmen.«
Und so ging es noch fast eine Stunde lang weiter. Kaine stellte unglaubliche Behauptungen auf, und der größte Teil des
Publikums merkte es nicht oder kümmerte sich nicht darum.
Ich war froh, als es endlich vorbei war und wir aufstehen durften.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Joffy.
Ich zog mein JurisfiktionBuch heraus und schlug einen Absatz aus dem Schwert der Zenobier auf. Das war eins der unveröffentlichten Bücher, die Jurisfiktion als Gefängnis benutzte.
Jetzt musste ich nur noch Kaines Hand ergreifen und lesen.
»Ich werde Kaine in die BuchWelt zurückbringen«, sagte ich.
»Für das Außenland ist er viel zu gefährlich.«
»Da hast du recht«, sagte Joffy und führte mich um das Gebäude herum, wo zwei große, schwarze Limousinen auf den
Staatskanzler warteten. »Wahrscheinlich wird er noch ein ›Bad
in der Menge‹ nehmen wollen. Deine Chancen stehen also gar
nicht schlecht.«
Tatsächlich fanden wir eine Gruppe von Fans vor, die sich
um die Fahrzeuge drängten, und schoben uns Meter für Meter
nach vorn, bis wir die erste Reihe erreicht hatten. Als Kaine aus
dem Bühneneingang herauskam, erhob sich aufgeregtes Geschnatter. Er lächelte freundlich und ging am Spalier der wartenden Menschen entlang. Man hielt ihm Blumensträuße und
Babys entgegen, und natürlich gab es Dutzende Hände zu
schütteln. Dicht an seiner Seite ging Colonel Gayle, und vor
und hinter ihm marschierten die Leibwächter, die Augen starr
auf die Menge gerichtet, um etwaige Attentäter gleich auszuschalten. Ganz am Schluss kam Stricknene, der sich immer
noch an seine rote Tasche klammerte.
Ich achtete darauf, dass mich die von einer fanatischen alten
Dame geschwenkte Whig-Fahne zur Hälfte verdeckte, denn ich
war früher schon mit Kaine aneinander geraten, und es bestand
eine gewisse Gefahr, dass er mich womöglich erkannte. Wenn
er sich bedroht fühlte, konnte er zu seinem Schutz jederzeit
höllische Fabelwesen heraufbeschwören, die den schlimmsten
Fantasien der Menschheit entsprangen. Schon deshalb musste
ich vorsichtig sein.
Aber als Kaine sich näherte, drohte mir eine ganz andere Gefahr. Ich fühlte mich von der allgemeinen Begeisterung so
gerührt, dass ich gar kein Bedürfnis mehr hatte, dem Mann eine
Falle zu stellen. Kaine erschien mir plötzlich wie ein Erlöser.
Eine fast erotische Spannung baute sich auf, und ich wollte mich
geradezu hinreißen lassen. Joffy war demselben Zauber zum
Opfer gefallen. Er schrie und winkte und fuchtelte hemmungslos mit den Armen.
Mit aller Gewalt kämpfte ich die Stimme in mir nieder, die
mich dazu aufforderte, Kaine doch nicht von vornherein abzulehnen, sondern ihn erst einmal machen zu lassen. Und dann
stand er auch schon vor mir. Seine Hand streckte sich der
Menge entgegen, und ich starrte auf die erste Zeile aus dem
Schwert der Zenobier, um den richtigen Augenblick nicht zu
verpassen. Ich würde Kaines Hand ordentlich festhalten müssen, während ich uns in die BuchWelt las, aber deswegen machte ich mir keine Sorgen, denn ich hatte dieses Manöver ja schon
oft genug durchgeführt. Was mich viel mehr beunruhigte, war
die Tatsache, dass meine Entschlossenheit immer mehr nachließ.
Ehe Kaines hypnotische Kräfte mich gänzlich überwältigten,
holte ich tief Luft, ergriff die ausgestreckte Hand und murmelte
rasch: »Tiefer Friede herrschte im Land der Zenobier …«
Es dauerte kaum eine Sekunde, bis wir die BuchWelt erreicht
hatten. Innerhalb weniger Augenblicke waren die Zuschauer
auf dem nächtlichen Parkplatz des ToadNewsNetwork verschwunden, und an ihrer Stelle zogen Herden von Einhörnern
durch ein friedliches grünes Tal. Warmer Sonnenschein fiel auf
die grünen Weiden, während Grammasiten am Himmel kreisten.
»So!«, sagte ich zu Kaine und wandte mich um.
Aber jetzt erlebte ich einen Schock. Neben mir stand nicht
Yorrick, sondern ein älterer Herr, der ein Fähnchen der Whigs
in der Hand hielt und benommen die kleine Quelle anstarrte,
die neben uns murmelte. Ich musste in meiner Verwirrung die
falsche Hand gepackt haben.
»Wo bin ich?«, fragte der Mann, der verständlicherweise
verwirrt war.
»Das ist eine Nahtoderfahrung«, sagte ich hastig. »Was halten Sie davon?«
»Es ist sehr schön!«
»Gut. Bitte gewöhnen Sie sich nicht daran. Ich bringe Sie
wieder zurück.«
Ich ergriff erneut seine Hand, murmelte leise das Passwort
und sprang aus der Fiktion heraus, was noch weniger
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