04_Es ist was Faul
alle gleichzeitig da sein können, verteilen wir die
Nutzung im Zeitstrom. Es ist wie ein Gummiband.« Er streckte
die Arme aus, um es mir vorzuführen. »Wir nennen es Timesharing.«
Er rieb sich das Kinn. »Was für einen Tag haben wir denn da
draußen?«
»Den 14. Juli 1988.«
»Das trifft sich gut«, sagte er und senkte wieder die Stimme.
»Sie geben mir die Schuld am deutsch-dänischen Krieg.«
»Am deutsch-dänischen Krieg?«
»Du weißt schon: 1864, Schleswig, Holstein, Düppeler
Schanzen etc.«
»Ja, war das denn deine Schuld?«
»Nein, das war dieser Klops, dieser Bismarck. Aber das ist
egal. Sie haben mich zur Bewährung in eine andere Abteilung
versetzt. Mein erster Auftrag ist im Juli 1988. Da kennst du dich
doch aus, oder? Hast du schon mal von Yorrick Kaine gehört?«
»Das ist der Staatskanzler Englands.«
»Aha. Das passt. Ist morgen der hl. Zvlkx zurückgekehrt?«
»Vielleicht.«
»Na schön. Wer hat den SuperHoop gewonnen?«
»Das ist erst am Samstag in einer Woche«, erklärte ich. »Das
Spiel hat noch nicht stattgefunden.«
»Das stimmt so nicht, meine Kichererbse. Alles, was wir tun,
hat schon vor langer, langer Zeit stattgefunden – das gilt auch
für dieses Gespräch. Und die Zukunft ist auch schon da. Die
Pioniere, welche die ersten Furchen der Geschichte in die Zeit
zogen, sind schon vor Äonen gestorben. Alles, was wir tun, ist
eigentlich nur ein Versuch, die Dinge in den vorgesehenen
Bahnen zu halten. Hast du übrigens mal von einem gewissen
Winston Churchill gehört?«
Ich musste einen Augenblick überlegen. »War das nicht ein
englischer Politiker, der im Ersten Weltkrieg einen Haufen Mist
gebaut hat und dann im Jahre 1932 von einem Taxi überfahren
wurde?«
»Aha. Also nicht besonders wichtig, ja?«
»Nicht, dass ich wüsste. Warum?«
»Ach, nur so eine kleine Lieblingstheorie von mir. Aber wie
gesagt, es ist ohnehin schon alles passiert. Wenn das nicht so
wäre, brauchte man ja keine Leute wie mich. Allerdings gibt es
gelegentlich Unfälle. Im normalen Ablauf der Dinge fliegt die
Zeit vor und zurück wie ein Weberschiffchen und webt die
Fäden der Geschichte zum Teppich. Wenn sie einem Hindernis
begegnet, biegt sie sich manchmal ein wenig, und niemand
bemerkt eine Änderung. Wenn das Hindernis aber groß genug
ist – und glaub mir, dieser Kaine ist verdammt groß –, dann
wird sie aus der Bahn geworfen, und die Geschichte verändert
sich ganz gewaltig. Das sind die Fälle, wo wir eingreifen müssen.
Ich bin zur AVA (ArmageddonVermeidungsAbteilung) versetzt
worden, und ich sage dir: Da steuert eine Apokalypse dritten
Grades auf uns zu, die alles Leben auf diesem Planeten auslöschen könnte.«
Einen Moment lang sagten wir beide nichts.
»Weiß deine Mutter eigentlich, dass deine Haare so kurz
sind?«
»Muss es dazu kommen?«
»Was? Das mit den Haaren?«
»Nein. Das mit dem Armageddon.«
»Keineswegs. Auf dem Wahrscheinlichkeitsindex hat dieses
hier nur zweiundzwanzig Prozent, und das heißt: nicht sehr
wahrscheinlich.«
»Also mit der SuperTraumSoße nicht zu vergleichen«, stellte
ich fest.
»Welcher Soße?«
»Ach, nichts.«
»Also gut. Weil ich noch auf Bewährung bin, haben sie mir
einen leichteren Fall anvertraut.«
»Ich verstehe nicht ganz.«
»Es ist ganz einfach«, sagte mein Vater. »Zwei Tage nach
dem SuperHoop stirbt Präsident Formby eines natürlichen
Todes. Am nächsten Tag lässt sich Yorrick Kaine zum Diktator
von England ausrufen. Nach der traditionellen Unterdrückung
der Pressefreiheit und den üblichen Erschießungen erklärt
Kaine der Republik Wales den Krieg. Es kommt zu einer ausgedehnten Panzerschlacht in den walisischen Sümpfen, und zwei
Tage später überfallen die Vereinigten Schottischen Clans die
Stadt Berwick-on-Tweed. In einem Wutanfall beschließt Kaine
ein Flächenbombardement der Stadt Glasgow, und das Schwedische Reich tritt auf der Seite Schottlands in den Krieg ein.
Russland verbündet sich mit Kaine, weil die Festung Fetlar von
den Schweden besetzt worden ist. Danach dehnt sich der Krieg
aufs europäische Festland aus und entwickelt sich zum apokalyptischen Schlagabtausch zwischen den Supermächten. In
weniger als drei Monaten ist alles Leben auf der Erde vernichtet.« Er wischte sich über die Stirn. »Das ist allerdings nur das
Worst-Case-Szenario. Es muss nicht so kommen. Und wenn
wir beide, du und ich, unsere Aufgaben ordentlich machen,
wird es nie dazu
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