04_Es ist was Faul
Hand, und sahen meine
Mutter erwartungsvoll an.
»Als Erstes möchte ich ein neues Mitglied in unserer Gruppe
begrüßen«, sagte sie. »Wie ihr wisst, war meine Tochter ein
paar Jahre lang fort – und zwar nicht im Gefängnis, um das
gleich klarzustellen!«
»Danke, Mutter«, murmelte ich, während die Gruppenmitglieder höflich lachten, weil sie der Ansicht waren, dass meine
Mutter dezent hatte andeuten wollen, wo ich tatsächlich gewesen war.
»Sie hat sich bereit erklärt, ein paar Worte zu sagen, um sich
selbst vorzustellen. Thursday?«
Ich holte tief Luft, stand auf und sagte rasch: »Guten Tag.
Mein Name ist Thursday Next, und mein Ehemann existiert
nicht.«
Diese Äußerung wurde mit Applaus begrüßt, jemand rief:
»Weiter so, Thursday«, aber ich hatte nichts weiter zu sagen
und setzte mich wieder hin. Alle schwiegen und warteten höflich darauf, dass ich fortfuhr.
»Das ist alles.«
»Darauf möchte ich einen trinken«, erklärte Emma und
starrte sehnsüchtig auf den fest verschlossenen Schrank mit
dem Sherry.
»Sie sind sehr tapfer«, sagte Mrs Beatty, die neben mir saß.
Sie tätschelte mir die Hand. »Wie hieß denn Ihr Mann?«
»Landen. Landen Parke-Laine. Er wurde 1947 von der Chrono-Garde ermordet. Ich werde morgen zum Goliath Apologarium gehen, um seine Nichtung rückgängig machen zu lassen.«
Ein Murmeln ging durch die Gruppe.
»Was ist denn los?«, fragte ich.
»Als Erstes müssen Sie sich klar machen«, erklärte ein hochgewachsener, dürrer Mann, der bisher noch gar nichts gesagt
hatte, »dass Sie einer Heilung nur dann näher kommen, wenn
Sie einsehen, dass es sich um ein Erinnerungsproblem handelt.
Es gibt keinen Landen, Sie glauben das nur.«
»Die Luft ist schrecklich trocken hier drin, findet ihr nicht?«,
sagte Emma und starrte weiterhin auf den Schrank mit dem
Sherry.
»Mir ging es früher genauso«, sagte Mrs Beatty. Sie hatte aufgehört, meine Hand zu tätscheln, und strickte jetzt wieder. »Ich
hatte ein wunderbares Leben mit Edgar, und dann wachte ich
eines Tages in einem fremden Haus auf und lag neben Gerald.
Er glaubte mir nicht, als ich ihm das Problem erklärte, und ich
musste zehn Jahre lang Medizin nehmen, ehe ich in diese
Gruppe hier kam. Erst jetzt, in der Gesellschaft dieser lieben
Menschen, wird mir allmählich klar, dass es alles nur Einbildung war.«
Ich war entsetzt. »Mutter?!«
»Wir haben das alle begreifen müssen, mein Schatz!«
»Aber Vater besucht dich doch regelmäßig!«
»Also, ich glaube, dass er mich besucht«, sagte sie, angestrengt nachdenkend. »Aber wenn er wieder weg ist, habe ich
keinerlei Beweis, dass er da war.«
»Und was ist mit mir? Und Joffy? Und Anton? Wie sind wir
gezeugt worden, wenn es Daddy nicht gab?«
Meine Mutter zuckte die Achseln. »Vielleicht waren das
Fehltritte aus meiner Jugend, die ich aus meinem Gedächtnis
verdrängt habe.«
»Aha. Und Emma? Und Bismarck? Wie erklärst du dir deren
Anwesenheit?«
»Na ja«, sagte sie und dachte angestrengt nach. »Ich bin sicher, es gibt für alles eine plausible Erklärung.«
»Und das ist alles, was ihr in eurer Gruppe hier lernt?«, fragte
ich wütend. »Das Andenken derer, die ihr liebt, zu verleugnen?«
Ich sah mich in der Versammlung um, die offensichtlich vor
dem hoffnungslosen Paradox ihres Lebens kapituliert hatte. Ich
öffnete den Mund, um ihnen zu beschreiben, warum ich so
genau wusste, dass ich mit Landen verheiratet war. Aber dann
wurde mir klar, dass ich nur meine Zeit verschwendete. Es gab
keinerlei Beweise dafür, dass er existierte. Ich seufzte. Er existierte tatsächlich nur in meinem Kopf. Unsere ganze Geschichte
hatte nie stattgefunden. Ich hatte nur Erinnerungen daran, wie
es hätte sein können. Der große, dünne Mann, der Realist, hatte
recht. Wir waren keine Opfer einer Manipulation der Vergangenheit, sondern wir halluzinierten.
»Beweise wollt ihr –«
In diesem Augenblick klopfte es aufgeregt an die Haustür,
und eine Besucherin stürmte ins Wohnzimmer. Sie trug ein
geblümtes Kleid und zog einen verwirrten Mann von etwa
fünfundvierzig Jahren hinter sich her.
»Hallo, Gruppe!«, rief sie vergnügt. »Das ist Ralph! Ich hab
ihn zurück!«
»Ah!«, sagte Emma. »Darauf müssen wir einen trinken!«
Was allgemein ignoriert wurde.
»Entschuldigen Sie«, sagte meine Mutter. »Sind Sie sicher,
dass Sie im richtigen Haus sind? Und bei der richtigen Selbsthil-fe-Gruppe?«
»Oh, ja«, bestätigte die
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