04_Es ist was Faul
Daisy Mutlar
erwähnt?«
»Na ja … Ich dachte, du wärst vielleicht sauer, dass sie immer noch in der Stadt ist.«
Daisy Mutlar, das sollte an dieser Stelle vielleicht erwähnt
werden, war eine aufgetakelte Person, die Landen beinahe
geheiratet hätte, als wir uns mal zehn Jahre getrennt hatten.
Aber darauf kam es nicht an. Wichtig war vielmehr, dass es
ohne Landen völlig unwichtig war ob es eine Daisy gab oder
nicht. Wenn Daisy in der Stadt war und meine Mutter das
wusste, dann musste Landen ebenfalls in der Stadt sein – oder
sonst irgendwo.
Ich warf einen Blick auf meine Hand. An meinem Ringfinger
hatte ich – einen Ring. Einen Ehering! Ich zog ihn ein Stück weit
herunter und sah, dass die Haut darunter schneeweiß war. Es
sah aus, als wäre er schon jahrelang da. Und das konnte nur
eins bedeuten …
»Wo ist eigentlich Landen?«, fragte ich unschuldig.
»Zu Hause, nehme ich an«, sagte meine Mutter und zuckte
die Achseln. »Bleibst du zum Essen?«
»Heißt das, er ist nicht genichtet?«
Sie sah verwirrt aus. »Um Himmels willen! Natürlich nicht,
Schätzchen.«
Meine Augen verengten sich unwillkürlich. »Und ich war
auch nie bei den Anonymen NichtungsOpfern mit dir?«
»Natürlich nicht, Schätzchen. Du weißt doch, dass ich und
Mrs Beatty die Einzigen sind, die da jemals hingehen. Und Mrs
Beatty kommt auch bloß, um mich zu trösten. Was redest du
eigentlich? He, komm zurück! Wo rennst du denn – ?«
Ich war schon aus der Tür und halb auf der Straße, als ich
plötzlich merkte, dass ich Friday nicht bei mir hatte. Reumütig
kehrte ich in die Küche zurück, um ihn zu holen, und musste
feststellen, dass trotz des Lätzchens sein T-Shirt von oben bis
unten mit Schokolade verschmiert war. Ich zog es ihm aus,
streifte ihm sein Sweatshirt über, stellte fest, dass es ebenfalls
dreckig war, und suchte ein frisches. Dann wechselte ich seine
Windeln und fand keine Socken.
»Was machst du da, Schätzchen?«, fragte meine Mutter vorsichtig, als sie mich kopfüber in ihrem Wäschekorb herumwühlen sah.
»Es ist wegen Landen«, sagte ich aufgeregt. »Er war doch genichtet, und jetzt ist er wieder da, und ich möchte, dass er
Friday kennen lernt, aber Friday ist jetzt einfach zu klebrig, um
seinen Vater kennen zu lernen.«
»Landen? Genichtet? Wann soll das gewesen sein?«, fragte
meine Mutter. »Davon weiß ich nichts.«
»Das ist doch genau der Witz bei einer professionellen Nichtung«, sagte ich. »Die Leute merken es überhaupt nicht.« Ich
hatte sechs verschiedene Socken gefunden, die alle nicht zusammenpassten. »Weißt du eigentlich, dass die Anonymen
NichtungsOpfer mal vierzig Mitglieder hatten? Als ich dazukam, waren es nur noch zehn. Du hast deine Arbeit gut gemacht, und die Leute wären dir sicher sehr dankbar, wenn sie
sich nur erinnern könnten, was los war.«
»Ach«, sagte meine Mutter in jäher Erkenntnis. »Das heißt
also … wenn NichtungsOpfer zurückkommen, dann ist es so,
als wären sie nie weg gewesen, und die Vergangenheit schreibt
sich neu?«
»Ja. Mehr oder weniger. Ja.«
Ich beschloss, Friday zwei verschiedene Socken anzuziehen.
Das war jetzt auch schon egal. Sehr behilflich war er mir nicht,
sondern spreizte sperrig die Zehen. Dann suchte ich seine
Schuhe. Der eine lag unter dem Sofa, der andere auf einem
Bücherregal – Melanie war also doch auf den Möbeln herumgeklettert. Ich bürstete Friday die Haare, wobei mir ein verkrusteter Soßenfleck hartnäckig Widerstand leistete. Trotzig ließ sich
mein Sohn das Gesicht waschen, aber als ich gerade zur Tür
hinauswollte, sah ich mich plötzlich im Spiegel und kriegte den
Schock meines Lebens. Hastig rannte ich wieder nach oben,
schmiss Friday aufs Bett, zog mir ein frisches T-Shirt und
saubere Jeans an und versuchte irgendwas mit meinen abgeschnippelten Haaren zu machen.
»Na, was meinst du?«, fragte ich Friday.
»Aliquippa ex consequat.«
»Ich hoffe, das heißt: Mama, du siehst wirklich großartig
aus.«
»Molfit anim est laborum.«
Ich zog meine Jacke an und ging aus dem Zimmer, dann
kehrte ich wieder zurück, um mir noch einmal gründlich die
Zähne zu putzen und Friday seinen Eisbär-Teddy zu holen.
Dann rannte ich wieder raus, um meiner Mutter zu sagen, dass
ich heute Abend wahrscheinlich nicht mehr zurückkommen
würde.
Mein Herz raste immer noch, als ich Friday auf seinem Kindersitz anschnallte und das Dach meines Porsche zurückschlug
– mein Auftritt
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