04 - Herzenspoker
sein, von der jedermann sprach.
Der
Lakai kam mit der Peitsche.
Esther
entwand sie ihm und stellte sich wie eine Amazone hin.
»Nun,
Lady Penworthy?« fragte sie.
»Oh,
also gut«, sagte Lady Penworthy entgegenkommend. Sie sprang leichtfüßig herab
und ergriff das Geld. Esther wandte sich an den Lakaien. »Nehmen Sie dem Pferd
das Geschirr ab und binden Sie es hinten an meine Kutsche an.«
Mittlerweile
hatten sich ein paar Neugierige versammelt.
Esther
schaute Lord Guy an. Warum war er ihr nicht zu Hilfe gekommen? Er saß ganz
still da, die Hände vor das Gesicht geschlagen. Er tut wahrscheinlich so, als
ob er nicht da wäre, dachte Esther ungeduldig.
Es
wurden Vorbereitungen zum Abtransport von Lady Penworthys Kutsche getroffen.
Förmlich bot Esther Lady Penworthy an, sie nach Hause zu fahren, nicht ohne
einen wütenden Blick auf ihren schweigsamen Begleiter zu werfen. Aber freudig
mit dem Bündel Banknoten winkend, lief Lady Penworthy bereits auf die Kutsche
einer Freundin zu. Sie wußte, dass sie nicht nur einhundert Pfund bei sich
hatte, sondern auch den herrlichsten Klatsch, den London seit langem erlebt
hatte.
Esther
kletterte neben Lord Guy in die Kutsche. Die Leute blieben stehen und
beobachteten sie, wobei sie sich ungeniert und lautstark über ihre Reize
unterhielten - die Herren meinten sie sehe großartig aus, aber die Damen
kicherten mitleidig und sagten, dass all das Geld ihren Verstand verwirrt haben
müsse Einhundert Pfund für solch eine Mähre!
»Soll
ich vielleicht auch noch kutschieren, Sir?« zischte Esther zwischen den Zähnen
hervor.
Lord
Guy, der von Toten und Sterbenden umringt war, hörte nichts. Esther riss ihm
die Hände vom Gesicht und blickte ihn dann erschrocken an. Sein Gesicht war
totenbleich, und seine Augen starrten blind ins Leere.
»0
Mylord«, rief sie. »Sie sind krank!« Sie kramte in ihrem Beutel, zog ein
Fläschchen Kölnisch Wasser und ein sauberes Taschentuch heraus und tupfte ihm
damit die Schläfen ab. Esther hatte einen stark ausgeprägten mütterlichen
Instinkt. Als er zusammenschauerte und murmelte: »0 dieser Tod, dieses Leiden.
Wird es nie enden?«, da wußte sie sofort, dass er einen Alptraum durchlitt. Sie
vergaß die glotzende, neugierige Zuschauermenge, sie vergaß, dass Lord Guy ein
mit allen Wassern gewaschener Verführer war, sie nahm ihn einfach in die Arme, wie
sie die Kinder in die Arme nahm, wenn sie böse Träume hatten, und sagte in
beruhigendem Ton: »Pschscht! Sie sind nicht im Krieg. Sie sind hier mit Esther.
Es ist ja gut.«
Langsam
richteten sich seine Augen auf das schöne Gesicht, das dem seinen so nahe war.
Noch ganz benommen gewahrte er die Zärtlichkeit in ihren Augen, fühlte er die
Wärme ihres Busens und den Druck ihrer Arme. Er wußte nicht, wo er war, und es
war ihm auch gleichgültig. Er schlang seine Arme um sie und küsste sie
leidenschaftlich auf den Mund leidenschaftlicher, als er in seinem ganzen
bisherigen Leben eine Frau geküsst hatte. Esthers Sorge um sein Wohlergehen war
so groß, dass sie im ersten, ganz kurzen Moment nicht widerstrebte, und dieser
Moment war ihr Verderben. Sie fühlte ihren Körper zu einer Flamme werden, und
wenn die betäubenden Beifallskundgebungen der Zuschauer sie nicht in die
Wirklichkeit zurückgerufen hätten, hätte sie seine Küsse womöglich noch
erwidert.
Sie
wich mit einem Ruck zurück, ihr Gesicht flammte, und sie stieß zwischen den
Zähnen hervor: »Sie scheinen entschlossen zu sein, mich auf ganz vulgäre Art
zur Schau zu stellen. Fahren Sie weiter!«
Lord
Guy blickte sich erschrocken um, stieß einen leisen Fluch aus und ergriff die
Zügel. Er war verzweifelt. Alles, was in der Londoner Gesellschaft Rang und
Namen hatte, schien sich auf dem Schauplatz zu befinden. Seine Verzweiflung
wurde noch größer, als er zu allem Überfluss die blühenden Gesichtszüge des
Prince of Wales erkannte, dessen stattliche Gestalt hoch oben in einem Phaeton
mit Schwanenhals thronte. Lord Guy verbeugte sich, und Esther, deren Gesicht
immer noch die Farbe Roter Beete hatte, verbeugte sich ebenfalls.
»Was
ist los, he?« rief der Prinz.
»Lord
Guy Carlton zu Euren Diensten, Eure Königliche Hoheit. Sie sollen der erste
sein, der mir gratuliert. Miß Jones hat mir die Ehre gewährt, mit mir in den
Stand der Ehe treten zu wollen.«
»Frühling
in der Luft, was!« rief der Prinz mit fröhlichem Lachen. »Es ist die
Jahreszeit, in der man Nester baut. He, ich habe gesagt, die Jahreszeit
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