04 Im Bann der Nacht
Augen verdunkelte.
Sie wollte den Smaragd! Sie wünschte ihn sich geradezu verzweifelt. Warum nahm sie ihn sich nicht einfach?
Morgana verbarg ihre Reaktion hastig hinter einem rauen Lachen und winkte lässig mit der Hand ab. »Hat mein Bruder dich glauben lassen, dass solches Flitterzeug mir tatsächlich schaden könne? Wie erbärmlich naiv du doch bist«, spottete sie. »Erwähnte er zufällig auch, dass er den Smaragd bei sich trug, als er starb? Dass der Grund dafür, dass er sich in seinem Besitz befand, nur darin bestand, dass er damit begraben wurde?«
Anna schien wenig beeindruckt. »Wenn er wirklich so
wertlos ist, warum hast du dann fast einen Anfall bekommen, als du ihn gesehen hast?«, erkundigte sie sich. Ihr Instinkt drängte sie, den Smaragd mit ausgestreckter Hand vor sich zu halten und einen Schritt nach vorn zu machen. Erstaunlicherweise wich Morgana zurück. Die Königin sehnte sich vielleicht danach, den Smaragd zu besitzen, aber aus irgendeinem Grund hatte sie trotzdem Angst vor ihm.
»Und warum weichst du jetzt davor zurück?«
»Er ist abstoßend. Die Magie, die er enthält, ist besudelt.«
Anna studierte das herrliche Juwel genauer. »Er fühlt sich nicht besudelt an.«
»Was weißt du schon von uralter Magie?«, giftete Morgana und gewann endlich ihre Fassung zurück. »Du bist nicht mehr als ein Kind, das törichterweise glaubt, dass ein wenig von Artus’ Erbblut ihm wahre Macht verleiht.«
Anna gab ein kurzes und humorloses Lachen von sich. »Es ist wahr, dass ich jünger bin als du, auch wenn ich mich seit geraumer Zeit nicht mehr als Kind betrachte. Und zwar ganz genau, seit du die Frau getötet hast, von der ich geglaubt hatte, sie wäre meine Tante, und mich dazu gezwungen hast, allein in der Dunkelheit zu leben.«
Morgana sah verblüfft aus, als sei sie überrascht, dass Anna sich an ein dermaßen triviales Ereignis überhaupt erinnerte. »Diese Frau war nicht mehr als eine Marionette, die kaum ein freundliches Wort für dich übrighatte. Du kannst doch nicht wirklich um diesen Verlust trauern!«
»Ihr beide wart die einzigen Verwandten, von deren Existenz ich wusste, und im Gegensatz zu dir glaube ich tatsächlich daran, dass das etwas bedeutet!«, stieß Anna hervor. »Vor allem jetzt, wo ich begreife, wie schön es ist, zu einer Familie zu gehören.«
»Du betrachtest einen Clan aus wandelnden Toten als deine Familie?« Morgana gab einen angewiderten Laut von sich. »Du bist wahrhaft erbärmlich.«
Ohne Vorwarnung fühlte Anna, wie eine Woge der Wärme ihr Herz durchströmte. Es war nicht die merkwürdige Hitze ihrer Urkraft, aber nichtsdestotrotz Macht. Die Macht, die Cezar ihr geschenkt hatte, als er sie zu seiner Gefährtin machte.
Sie würde nie wieder allein sein. Nicht einmal auf dieser abgelegenen Insel. Cezar und sein Clan waren bei ihr.
Und dieses Wissen verlieh ihr deutlich mehr Kraft, als es jeder Edelstein und jede uralte Macht gekonnt hätte.
KAPITEL 22
A nna hüllte sich in den unerschütterlichen Trost durch ihre Verbindung mit Cezar ein.
Dieser prächtige Palast mit dem herumwirbelnden Nebel und den unbezahlbaren Kunstschätzen mochte beeindruckend sein, aber er war letzten Endes nicht mehr als ein kaltes, leeres Gefängnis. Genau wie all die unzähligen Häuser, in denen Anna über die Jahrhunderte gewohnt hatte. Wusste Morgana, welche Verluste sie erlitten hatte? Hatte sie je solche Gefühle empfunden?
»Weißt du, Morgana, so sehr ich dich und das, was du getan hast, auch verabscheue, ich habe trotzdem Mitleid mit dir.«
»Mitleid?« Morgana kam auf Anna zu und verpasste ihr einen so festen Schlag ins Gesicht, dass sie ihr die Lippe spaltete. Offensichtlich war es noch schlimmer, bemitleidet als beleidigt zu werden. Sieh einer an. »Mein Besitz ist größer, als du es dir jemals erträumen könntest!«
»Du besitzt gar nichts«, bestritt Anna, entschlossen, die Geduld der Frau auf die Probe zu stellen. Eine gute Idee - in der Annahme, dass ihre Kräfte sich dazu entschieden, rechtzeitig zurückzukommen. Falls nicht, sollte sie besser schon mal ihr Testament machen. »Du hast niemanden, der dich liebt, niemanden, der sich um dich sorgt. Du bist
vollkommen allein, und es gibt auf dieser Welt kein Wesen, das trauern würde, wenn du sterben würdest. Eigentlich zweifle ich noch nicht mal daran, dass auf deinem Grab eine Riesenparty gefeiert werden würde. Das ist … einfach traurig.«
Der nächste Schlag ließ Anna in die Knie gehen. Schmerz
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