04 Im Bann der Nacht
bloßen Hand Annas Kieferknochen. »Ich bin eine Königin, eine Göttin! Meine Kräfte sind endlos! Du dagegen bist nichts weiter als eine Abscheulichkeit.«
Vor nicht allzu vielen Jahren hätte Anna ihrer psychopathischen
Verwandten vielleicht zugestimmt. Sie hatte sich lange klein und nutzlos gefühlt.
Aber jetzt nicht mehr. Jetzt wurde ihr klar, dass sie etwas Besonderes, etwas Einzigartiges war. Etwas, das es wert war, geliebt zu werden. Und das war alles, was zählte.
»Ich bin Anna Randal, intelligent, tüchtig und eine verdammt gute Anwältin«, erwiderte sie und fühlte, wie die Bänder sich langsam, aber sicher unter ihrem gleichmäßigen Energiefluss weiter lösten. »Ich bin die Gefährtin von Conde Cezar und Nachfahrin von König Artus. Und was das Wichtigste ist, ich bin die Frau, die dazu bestimmt ist, dir mal kräftig in den Hintern zu treten!«
»Du hochnäsige kleine Hündin, ich werde …«
Anna, die spürte, dass die Stränge nun zerbrechlich geworden waren, ignorierte Morganas wütende Tirade und konzentrierte sich auf die letzte Woge ihrer Macht. Ihr Herz machte einen Satz, als sie fühlte, wie sie zerbrachen und von ihr abfielen. Bevor Morgana reagieren konnte, packte Anna sie am Handgelenk und verdrehte ihr mit einer einzigen ungestümen Bewegung den Arm. Der heftige Schmerz ließ die Elfenkönigin fast in die Knie gehen, aber sie weigerte sich, auch nur mit der Wimper zu zucken.
»Hör sofort auf, Morgana«, sagte Anna mit einer erstaunlich festen Stimme, auch wenn sie die Worte wegen ihres verletzten Kiefers nur undeutlich artikulieren konnte. »Ich sage es nicht noch einmal.«
Echte Angst flackerte kurz in Morganas Augen auf. Dann riss sie sich los und schüttelte ihre lange rote Mähne. »Meinst du, ich fürchtete mich vor dir, nur weil mein Bruder dich einige Tricks gelehrt hat? Das wird dich nicht retten!«
Anna lächelte und machte sich nicht die Mühe, Morganas Fehleinschätzung zu korrigieren. Es war besser, wenn Morgana glaubte, sie sei von Artus ausgebildet worden, als wenn sie zugab, dass sie sich immer noch mehr schlecht als recht mit ihren Kräften durchwurschtelte.
»Eigentlich scheinen diese ›Tricks‹ doch ganz gut zu funktionieren, wenn es darum geht, mich zu verteidigen«, gab sie zurück und berührte ihr schmerzendes Kinn. Es war dabei zu heilen, aber tat natürlich trotzdem weh. Und zwar ordentlich. »Und wenn du mich nicht in Ruhe lässt, werden sie auch dann gut funktionieren, wenn es darum geht, dich zu töten.«
Morgana streckte die Hände in Annas Richtung aus, wobei ihr Haar durch die entstehende Brise in der Luft schwebte. »Stirb!«
Anna keuchte auf und wappnete sich gegen die scharfen Pfeile aus Luft, die sie zu durchbohren drohten.Verdammt, sie hatte gar nicht gewusst, dass man Luft in derartige Geschosse verwandeln konnte! Eine tolle Überraschung sah anders aus.
Sie zuckte zurück, als ein besonders heimtückischer Splitter die Haut an ihrem Bauch aufschlitzte, und hob instinktiv den Smaragd hoch, in dem ein schimmerndes grünes Licht zu leuchten angefangen hatte. Es war Zeit für den Edelstein, das zu tun, wozu er bestimmt war.Was auch immer das sein mochte.
Obwohl sie noch immer mit den schmerzhaften Luftdolchen bombardiert wurde, ignorierte sie das Bedürfnis, sich hinter eine der Marmorsäulen zu ducken, und konzentrierte sich stattdessen auf das Glühen, das von dem Juwel ausging. Bestimmt hatte Artus sie nicht ohne Grund an sein Grab gerufen, um ihn ihr zu geben.
Eine Weile tat das Glühen nichts anderes, als um sie herumzuwirbeln. Das war zwar hübsch, aber nicht ganz das, worauf sie gehofft hatte. Erst als Anna vollständig in die seltsame grüne Flamme eingehüllt war, hörte diese mit dem Kreiseln auf und verdichtete sich derartig, dass dem schmerzhaften Angriff ein Ende gesetzt war.
Anna lehnte sich erschöpft gegen die Säule und betrachtete das grüne Funkeln genauer. Durch den glühenden Dunstschleier konnte sie Morgana sehen. Ihre Arme waren so ausgestreckt, als ob sie auch jetzt noch ihre Kräfte gebrauchte, aber nichts kam durch das Feuer hindurch. Eigentlich war es sogar so, dass …
Anna konzentrierte sich und streckte ihre Sinne aus. Die grüne Flamme lenkte die mächtigen Schläge nicht nur ab, wie Anna bemerkte, sie absorbierte sie überdies.
Okay. Das war doch mal eine gute Nachricht. Wirklich richtig gut. Leider wusste Anna nicht, wie sie die Waffe noch benutzen konnte, außer, um sich selbst zu schützen.
Sie
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