04 Im Bann der Nacht
Jugend werden wir das gesamte nächste Jahrhundert nicht von dir verlangen, deine Pflichten als Orakel zu erfüllen.«
Es war eine dieser Abmachungen, die zu gut klangen, um wahr zu sein. Ungläubig bemühte Anna sich, durch die undurchdringliche Finsternis zu spähen. »Und am Ende dieses Jahrhunderts?«
»Wirst du deinen Platz in der Kommission einnehmen.«
»Bedeutet das, dass ich Cezar dann verlassen muss?«
»Wenn man diese Verbindung eingegangen ist, ist es unmöglich, die Bande zu zerbrechen«, erwiderte die zischelnde
Frauenstimme verärgert. Offensichtlich waren nicht alle einverstanden mit der Entscheidung der Kommission.
Doch Anna weigerte sich auch jetzt, sich einschüchtern zu lassen. Vielleicht war das dumm, aber so war sie nun einmal.
»Wie Sie wissen, bin ich Anwältin. Mir wäre es lieber, wenn ich das alles schwarz auf weiß haben könnte«, entgegnete sie beharrlich. »Wenn ich meinen Platz als Orakel einnehme, ist Cezar dann an meiner Seite?«
KAPITEL 25
C ezar wusste augenblicklich nach dem Erwachen aus seinem magisch verursachten Schlaf, dass die Kommission gekommen war, um Anna zu holen.
Es konnte keine andere Erklärung geben.Vipers Schutzmaßnahmen waren einfach zu gut. Und natürlich gab es da noch die Tatsache, dass es der Person, die in das Schlafzimmer eingedrungen war, gelungen war,Anna mitzunehmen, ohne dass er die Anwesenheit eines Fremden bemerkt hatte.
Als er aus dem Bett sprang, war Cezars erster Gedanke, zu den weit entfernten Höhlen zu eilen und sich zu Anna durchzukämpfen. Er würde sie auf gar keinen Fall allein der Kommission gegenübertreten lassen! Dann mischte sich unerfreulicherweise sein Verstand ein, als er die schwarze Jeanshose, die Anna stets am liebsten an ihm sah, und ein einfaches Shirt anzog. Es wäre ein Leichtes, zu den Höhlen zu finden, die am Ufer des Mississippi verborgen lagen, aber trotz all seiner Macht durfte er nicht einmal hoffen, sie ohne die Erlaubnis der Orakel zu betreten.
Noch schlimmer war, dass ein derart impulsives Verhalten Anna in Gefahr bringen konnte. Die Kommission war unentbehrlich für die Dämonenwelt, doch sie konnte ebenso kleinlich und rachsüchtig sein wie eine Schar von
Harpyien. Sie würde nicht zögern, seine Gefährtin für seine Sünden zu bestrafen.
Außerdem hatte er gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Er hatte es seit zwei langen Jahrhunderten gewusst. Bloß hatte er nicht erwartet, dass es nur so wenige Tage, nachdem er Anna zu seiner Gefährtin genommen hatte, geschehen würde.
Geplagt von seinem Kummer, der durch seinen Körper pulsierte, durchmaß Cezar das Schlafzimmer, das er mit Anna teilte, mit seinen Schritten, nahm ihren Duft in sich auf, der noch immer in der Luft lag, und strich mit den Fingern über die wenigen Besitztümer, die sie überall im Raum verteilt hatte. Ein stechender Schmerz zog ihm das Herz zusammen, als er die Haarbürste berührte, die er nur wenige Stunden zuvor benutzt hatte, um ihr das dichte, honigfarbene Haar zu kämmen. Er konnte noch immer die kräftige, seidige Beschaffenheit unter seinen Fingern spüren und den berauschenden Duft von Feigen riechen, der den Raum erfüllte.
Die Glühbirnen explodierten, als seine Macht durch das Zimmer wirbelte. Wie sollte er nur ohne sie leben? Anna war schließlich sein Leben. Sein einziger Lebenszweck! Ohne sie …
Ein Klopfen an der Tür unterbrach seine quälenden Gedanken, auch wenn es keine Erleichterung für seinen Schmerz bedeutete. Er konnte spüren, dass Styx in der Türöffnung stand. Aber so sehr er seinen Anasso auch respektierte, im Augenblick bedeutete dieser ihm nichts weiter als eine unwillkommene Unterbrechung. »Nicht jetzt«, rief er aus. In seiner aufgewühlten Stimme waren seine Trauer und seine Verzweiflung zu erkennen.
Als Antwort wurde die Tür so heftig aufgestoßen, dass
sie beinahe aus den Angeln gerissen wäre. Styx kam in den Raum gestürmt, seine riesige Gestalt von oben bis unten in schwarzes Leder gekleidet. Seine Miene verriet, dass er eine weitere Abfuhr nicht akzeptieren würde.
Cezar biss die Zähne zusammen. Dieser verdammte Viper! Er war es wohl gewesen, der Cezars großen Schmerz gespürt und nach dem Anführer geschickt hatte.
Styx’ allwissender goldener Blick richtete sich auf Cezars angespannten Körper. »Begleite mich«, befahl er.
Dieser strich mit den Fingern durch sein zerzaustes Haar und bemühte sich, die Macht in Schach zu halten, die noch immer durch die Luft wirbelte. »Ich
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