04 Im Bann der Nacht
andere Vampir wirkte gleichgültig gegenüber Cezars Enthusiasmus. Er rauschte an ihm vorbei und deutete auf ein Regal in der Ferne. »Die Bücher, die ich über Morgana besitze, befinden sich dort.«
»Habt Ihr vielleicht Bücher, die sich insbesondere mit ihrem Rückzug nach Avalon beschäftigen?«
»Einige, obzwar die meisten von Elfen verfasst wurden und nicht mehr sind als das übliche Geschwafel in Form von Gedichten und Legenden.« In den blauen Augen blitzte Abscheu auf. »Sie verfügen über wenig Sinn für Geschichte.«
Im Begriff, auf die Bücher zuzusteuern, hielt Cezar abrupt an, als Jagr direkt vor ihm auftauchte, eine unverkennbare Warnung auf seinem blassen Gesicht. »Ihr dürft in
diesem Gewölbe bleiben, solange es notwendig ist, aber versucht nicht, es allein zu verlassen! Ich werde Euch nach draußen begleiten, sobald Ihr fertig seid.«
Cezar weigerte sich zurückzuweichen. »Die Bücher sind doch nicht verhext, oder?«
»Viele von ihnen könnten dem Unvorsichtigen schaden, aber nicht diejenigen, die Morgana betreffen.«
»Ein wenig paranoid seid Ihr schon, nicht wahr?«
»Ich musste bitteres Lehrgeld zahlen, um mir diese Paranoia anzueignen.«
»Das ist doch bei uns allen der Fall.«
Im Handumdrehen hatte Jagr Cezar gegen eine Stahlwand gepresst. Seine Vampirzähne waren vor Zorn ausgefahren. »Bei einigen aber mehr als bei anderen!«
Cezar ließ seine eigenen Fänge aufblitzen. »Was wollt Ihr damit sagen?«
Die blauen Augen wirkten wie Eissplitter. »Nicht alle von uns sind verhätschelte Lieblinge der Orakel.«
»Verhätschelt?« Die Lichter flackerten, als Cezar seine Kräfte nutzte, um den großen Vampir zur Seite zu stoßen. Es folgte ein gequältes Ächzen und dann ein frustriertes Fauchen, als Cezar seinen Willen dazu nutzte, Jagr gegen das Regal gedrückt zu halten.Verdammt sollte der ungehobelte Einsiedler sein! Dachte er wirklich, er sei der Einzige, der schon mal einen Blick in die Hölle geworfen hatte?
»Zu Eurer Information, ich habe zwei Jahrhunderte als Sklave verbracht, nur weil ich die Sünde beging, das Blut der falschen Frau zu trinken! Ich wurde isoliert und oftmals ohne Beschäftigung in meinem kargen Raum allein gelassen, mit Ausnahme von ein paar Büchern und einem stummen Pectos-Dämon! Ich wurde gezwungen, gegen Dämonen zu kämpfen, die mich zu töten versuchten, und
das aus keinem anderen Grund als wegen ihres Hasses auf die Kommission! Ich wurde gezwungen, Brüder im Namen der Gerechtigkeit zu töten! Ich wurde gezwungen, ein Eunuch zu bleiben, fern von der einen Frau, die ich noch immer begehrte …«
Seine Worte wurden ihm abgeschnitten, als Jagr seine Robe aufriss, um die tiefen Wunden zu enthüllen, von denen sein gesamter Brustkorb bis hin zu seinem flachen Bauch überzogen war.
Cezar fauchte bei diesem Anblick.Wenn bei einemVampir solche sichtbare Verletzungen zu erkennen waren, bedeutete dies, dass er zuerst gefoltert und dann monatelang, vielleicht auch jahrelang ausgehungert worden war, sodass er sich nicht hatte regenerieren können. Es war die schlimmste Strafe, die ein Vampir erdulden konnte. Schlimmer als der Tod.
»Spart Euch Eure tragische, tränenreiche Geschichte für jemanden auf, den sie interessiert, Cezar«, knurrte derVampir und stieß sich von dem Regal ab, als Cezar seine Kräfte gelockert hatte. »Und jetzt bringt das zu Ende, weswegen Ihr hergekommen seid. Meine Geduld hat ihre Grenzen.«
Cezar blieb wortlos zurück, während er beobachtete, wie Jagr durch die Buchreihen zu der Tür am Ende des Zimmers marschierte. Vielleicht sollte er eine kleine Unterhaltung mit Styx führen. Cezar fand ihn doch ein kleines bisschen zu unberechenbar.
Wenn Anna früher von ihrer Zukunft geträumt hatte, war es immer ein ziemlich simpler Traum gewesen. Als sie jünger war, ging es darin vor allem um einen Ehemann, eine Familie und ein Haus, das ihr Sicherheit bieten konnte. Ein richtiges Zuhause eben.
Als die Jahre vergingen, hatte sie die Vorstellung von Ehemann und Familie aufgegeben. Es war unmöglich, ohne aufzufallen an einem einzigen Ort zu bleiben, wenn sie nicht alterte. Also hatte sie sich zunehmend auf die Missstände der Welt konzentriert.Wenn sie schon keine Sicherheit haben konnte, dann konnte sie doch wenigstens für eine Vision davon kämpfen. Wenn sie für ein wenig mehr Gerechtigkeit auf dieser Welt sorgen konnte, dann lohnte sich ihr Leben doch auch.
In keinem einzigen ihrer Träume saß sie allerdings mit
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