04 Im Bann der Nacht
deshalb, weil er selbst abweisend wirken wollte.
Im Begriff, sich zur Lagerhalle zu schleichen, griff Cezar hinter seinen Rücken und zog seine verborgenen Dolche heraus. Mit einer geschmeidigen Bewegung drehte er sich um, um dem Vampir entgegenzutreten, der aus den Schatten eines rostigen Containers trat.
Der Fremde war groß, beinahe so groß wie Styx, besaß ein blasses Gesicht, goldblondes Haar, das er in einem
langen geflochtenen Zopf zusammengefasst trug, der ihm über den Rücken hing, und hellblaue Augen, die im Mondlicht schimmerten. Jedoch war es weder seine Größe, die Cezar veranlasste, seine Augenbrauen in die Höhe zu ziehen, noch die antike Robe, die genau die Art von Aufmerksamkeit auf sich zog, die die meisten Vampire zu vermeiden versuchten. Es war der unnahbare Ausdruck auf dem schönen Gesicht.
Cezar schloss unwillkürlich seine Finger fester um den Dolch. Der Vampir hatte ein tödlich gefährliches Aussehen.
»Ihr seid Cezar?«, verlangte er zu wissen. Seine Stimme war ein verhaltenes Grollen, so, als nutze er sie nur selten.
Cezar blickte ihn fest an. »Ich riskiere die Vermutung, Ihr seid Jagr?«
Der blonde Kopf senkte sich in einer förmlichen Bestätigungsgeste. »Das bin ich.«
»Ich danke Euch dafür, dass Ihr es mir gestattet, Eure Bibliothek zu durchsuchen.«
Die blauen Augen nahmen einen frostigen Ausdruck an. »Ich tue dies nur, weil ich Viper einen Gefallen schulde.«
Das war also der Grund. »Ihr und beinahe jeder andere Dämon in Chicago«, entgegnete Cezar lapidar. »Al Capone war ein Niemand im Vergleich zu Viper.«
Ein Anflug von Verachtung zeigte sich auf der schroffen Miene seines Gegenübers. »Es ist keine finanzielle Schuld. Und jetzt kommt.«
Was für ein charmanter Zeitgenosse! Cezar rollte mit den Augen und folgte der großen Gestalt in die Finsternis der Lagerhalle.
Es war nicht weiter ungewöhnlich, dass Vampire nur ungern einen anderen Dämon in ihr Versteck ließen. Sie waren sehr territoriale Wesen. Aber die Feindseligkeit, die
hier in der Luft lag, weckte seinen natürlichen Instinkt, sich gegen den anderen durchzusetzen. Und das war eine tödliche Kombination.
Indem er sich selbst daran erinnerte, dass es jemanden gab, der auf ihn angewiesen war, konnte es Cezar gerade noch vermeiden, seinen Dolch mitten in diesen breiten Rücken vor ihm zu rammen. Stattdessen konzentrierte er sich darauf, den Haufen aus verrottendem Abfall auszuweichen, und wartete, bis Jagr eine im Boden verborgene Falltür geöffnet hatte.Widerstrebend folgte er dem anderen Vampir die schmalen Stufen hinunter in den feuchtkalten Abgrund, der unter ihnen lag.
»Wisst Ihr, wenn Ihr Wert auf gemütliche Atmosphäre legen solltet, gibt es da ein paar wirklich schöne Einrichtungshäuser«, meinte er.
Jagr wurde nicht langsamer. »Ich stimmte zu, es Euch zu gestatten, meine Bibliothek zu benutzen, nicht, schlechte Scherze zu machen, Cezar.«
Der Dolch zuckte in Cezars Hand. »Seid Ihr von Natur aus dermaßen unwirsch, oder arbeitet Ihr daran?«
Der blonde Kopf drehte sich kurz zu ihm um. »Im Augenblick arbeite ich daran.«
Schließlich blieb Jagr vor einer schweren Stahltür stehen, die ihnen den Weg versperrte. Eine ganze Weile verging, bis die Tür endlich aufschwang und sie ihren Weg durch einen Tunnel fortsetzten, der an einer weiteren Tür endete.
Cezar schüttelte stumm den Kopf. Selbst für einen Vampir trieb dieser Jagr seine Sicherheitsmaßnahmen bis zum Äußersten.
Er musste ein weiteres Mal warten, als Jagr sich um die zahllosen Schlösser und Zauber kümmerte. Als sich dann
die zweite Tür öffnete, trat er zur Seite und winkte seinem Begleiter, den Raum vor ihm zu betreten.
Äußerst wachsam trat Cezar über die Schwelle. Er war auf alles vorbereitet, was womöglich aus der Dunkelheit springen und sich auf ihn stürzen konnte. Aber als sich keine Fangzähne in seine Kehle bohrten und keine Klauen ihm das Fleisch aufrissen, ließ er langsam den Dolch sinken. In demselben Augenblick schaltete Jagr die Beleuchtung ein, und der lange, mit Stahl verstärkte Raum wurde von Licht durchflutet.
Cezars Augen weiteten sich vor Überraschung, und Neid flackerte in ihm auf angesichts der langen Regalreihen, die mit Hunderten von in Leder gebundenen Büchern gefüllt waren. »Dios!« Er wünschte sich unwillkürlich, ganze Tage statt nur ein paar Stunden zur Verfügung zu haben, um die kostbare Lektüre in Augenschein nehmen zu können.
»Eine wunderbare Sammlung!«
Der
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